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Ich träume deutsch

Ich träume deutsch

Titel: Ich träume deutsch
Autoren: Nilgün Tasman
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sahen uns an und hofften, dass Anne sie nicht annehmen würde. Wir hatten nicht viel Geld und weil wir so schnell wie möglich in unsere Heimat zurück wollten, mussten wir auch immer sparen. Aber wir hatten noch nie abgetragene Sachen anziehen müssen. Meine Anne nähte uns immer sehr schöne Kleider aus neuen Stoffen. Ich hasste diesen Mann und fand ihn gar nicht mehr nett. Meine Anne bekam ganz rote Flecken im Gesicht. Aber sie bedankte sich bei ihrem Abteilungsleiter und legte die Säcke in den Kofferraum. Jetzt schämte ich mich noch mehr. Warum tat sie das nur?
    Mine und ich setzten uns auf die Rückbank des Autos und Anne fuhr gleich los. Mine fing an zu schimpfen und bestand darauf, dass wir Herrn Huber die blauen Säcke wieder vor die Tür stellen sollten. Anne versprach uns, alles sofort wegzuschmeißen. Sie habe es nur aus Höflichkeit angenommen. Anne sagte auch, dass sie ihren Arbeitsplatz nicht verlieren wolle und dass wir Türken höfliche Menschen seien.
    „Anne, wir waren doch die Krone auf seinem Haupt, und er hat uns mit Füßen getreten!“
    Ich gab Mine einen Klaps, damit sie endlich ihren Mund hielt.
    Ich sah im Rückspiegel, dass meiner Anne ganz viele Tränen über ihr schönes Gesicht kullerten.
    Wir durften unserem Baba nichts davon erzählen, und meine Anne stellte die beiden Säcke heimlich vor Onkel Alis Haustür ab.

|34|
Die verlogene Wahrheit
    Die Freundinnen von Anne kamen uns oft besuchen. Ihre Ehemänner saßen, wie mein Baba auch, immer im Café und spielten Karten. Nur bei Tante Birsen war es anders, denn die hatte keinen Mann mehr, weil sie sich von ihm hatte scheiden lassen. Tante Birsen konnte ich nie leiden. Sie wollte mich mit ihrem Sohn verheiraten. Das flüsterte sie mir immer, wenn ich sie sah, ins Ohr, und jedes Mal wurde ich ganz rot im Gesicht. Ich hatte es Anne schon mal gesagt, aber die meinte nur, dass Tante Birsen es nicht ernst meinen würde. Schließlich sei ich erst fünfeinhalb Jahre alt. Ich schämte mich trotzdem und es machte mich wütend. Ich würde doch nie einen türkischen Mann heiraten und erst recht nicht mit fünf Jahren! Aber Tante Birsen konnte es nicht lassen. Sie ärgerte mich weiterhin und einmal hatte sie sogar ein Foto von ihrem Sohn mitgebracht. Die Kinder lebten in der Türkei bei den Großeltern und gingen dort zur Schule. Tante Birsen war sehr stolz auf ihre Söhne. Sie hatte sich von ihrem Mann scheiden lassen, weil er sie immer geschlagen hatte. Sie hatte ihre zwei Söhne in die Türkei gebracht, damit sie so schnell wie möglich Geld verdienen konnte, um sich in Ostanatolien ein Haus zu kaufen.
    Die Eltern von Tante Birsen hatten sie zuerst verstoßen, weil Birsen sich von ihrem Mann getrennt hatte. Aber als sie ihrem Baba monatlich ganz viel Geld überwies, kam alles wieder in Ordnung. „Geld stellt sogar die Ehre wieder her“, sagte Birsen immer.
    Tante Birsen besuchte uns nur, wenn Baba nicht zu Hause war. Sie war bei den türkischen Männern nicht besonders beliebt, nicht nur weil sie eine geschiedene Frau war.
    |35| „Sie ist männerfeindlich, und ihre Zunge hat keinen Knochen“, sagte Baba.
    Anne war da anderer Meinung: „Ihre Familienangelegenheiten gehen uns nichts an. Allah allein entscheidet über Gut und Böse. Wir dürfen sie nicht verurteilen!“
    Und manchmal flüsterte Anne: „Birsen sagt nicht immer Unrechtes.“
    Aber die Männer waren sich einig: Wenn Birsen eine anständige Frau gewesen wäre, hätte sie ihren Mann nicht zum Teufel gejagt. Birsen war eine Hure!
    Wenn Baba nicht zu Hause war, sagte Anne oft: „Ich bewundere den Mut dieser Frau!“
     
    Tante Birsen zeigte mir wieder mal ein Foto von ihrem Sohn Volkan.
    „Schau Nilgün, das ist mein jüngster Sohn. Ist er nicht wunderschön? Gefällt er dir?“ Ich zuckte nur mit den Schultern.
    Volkan war hässlich! Er hatte natürlich nur wenig Farben auf dem Kopf und sah aus wie ein Türke. Diese Frau machte mich jedes Mal wütend, und am liebsten hätte ich sie an ihren schwarzen, fettigen Haaren gezogen.
    „Nein! Er gefällt mir überhaupt nicht“, schrie ich Tante Birsen an. „Und außerdem würde ich nie einen Türken heiraten. Erst recht nicht so einen hässlichen wie deinen Sohn. Und geschieden bist du auch noch!“
    Anne schnappte mich am Arm, schüttelte mich, dass es weh tat, und schrie mich an: „Schämst du dich nicht, so mit Tante Birsen zu sprechen? Los, entschuldige dich sofort bei ihr!“
    „Ich werde mich nicht entschuldigen und schon gar
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