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Ich soll nicht töten

Ich soll nicht töten

Titel: Ich soll nicht töten
Autoren: B Lyga
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G. William bezog hinter dem Schreibtisch Stellung und legte die Hand über seine Aufzeichnungen. Er war kein Dummkopf. » Was kann ich für dich tun? Ich bin gerade ein bisschen beschäftigt.«
    Abgetrennte Finger, dachte Jazz. Plural. Er hatte nur einen Finger in dem Beweismittelbeutel gesehen.
    Man braucht ein Messer. Nicht einmal ein gutes, nur ein scharfes. Man geht zwischen kleines Vieleckbein und Mittelhandknochen …
    » Ja«, sagte Jazz. » Die Leiche im Harrison-Feld.«
    G. William schaute finster drein. » Ich wünschte, sie würden Polizei-Scanner verbieten.«
    » Sie wissen ja, wie das läuft«, sagte Jazz leichthin. » Wenn sie Polizei-Scanner verbieten, haben nur noch Kriminelle welche.«
    G. William räusperte sich und nahm Platz. Sein altertümlicher Sessel ächzte. » Ich habe wirklich viel zu tun. Können wir ein andermal plaudern?«
    » Ich bin nicht zum Plaudern hier. Ich möchte über die Leiche mit Ihnen reden. Oder besser gesagt über den Täter.«
    Das brachte ihm eine hochgezogene Augenbraue und ein Schnauben ein. G. William hatte eine riesige, leuchtend rote Nase, die Sorte von Zinken, die man normalerweise bei Säufern sieht, obwohl G. William selten– wenn überhaupt– Schnaps anrührte. Seine Nase verdankte er einer Kombination von Vererbung und fünfunddreißig Jahren als Polizist, in denen er von Fäusten über Pistolenknäufe bis Holzplanken mit allem Möglichen ins Gesicht geschlagen worden war. » Du weißt, wer der Täter ist? Na wunderbar. Dann kann ich ja nach Hause gehen und Football schauen wie alle anderen.«
    » Nein, aber…« Jazz verriet ungern, dass er am Tatort spioniert oder G. Williams Notizen gelesen hatte, aber es ging nicht anders. » Hören Sie, eine Leiche ist eine Sache. Aber mehrere Finger abtrennen ist…«
    » Ach, Jazz.« G. William zog das Blatt Papier näher zu sich heran, als könnte er Jazz’ Erinnerung daran irgendwie auslöschen, wenn er es jetzt wegnahm. » Was treibst du da? Du musst aufhören, dich zwanghaft mit diesem Zeug zu beschäftigen.«
    » Sie haben leicht reden. Sie sind nicht derjenige, von dem alle glauben, er sei als Billy Dent II aufgewachsen.«
    » Niemand glaubt…«
    » Eine Menge Leute glauben es. Sie wissen nicht, wie die Leute mich ansehen.«
    » Das bildest du dir ein, Jazz.«
    Sie sahen einander einen Moment lang an. Aus G. Williams Augen sprach ein Schmerz, den sich Jazz so stark wie seinen eigenen vorstellte, wenngleich er sich wohl anders anfühlte.
    » Weiblich, weiß«, sagte Jazz knapp. » Fundort völlig abgelegen, mindestens drei Kilometer in jede Richtung ist nichts. Nackt. Keine erkennbaren Schwellungen oder Abschürfungen. Fehlende Finger…«
    » Hast du das alles daraus?« G. William wedelte mit dem Blatt Papier. » So lange hast du es nicht studieren können.«
    Erwischt. Er hatte zu viel enthüllt. Obwohl er wusste, wie clever G. William war, hatte sich Jazz doch zu früh verraten.
    Sei’s drum. Er würde es wahrscheinlich so oder so zugeben müssen…
    Jazz zuckte mit den Achseln. » Ich habe Sie beobachtet.«
    G. William schlug mit der Faust auf den Tisch und fluchte laut. Irgendwie passte sein Fluchen nicht zu diesem Schnauzbart und den großen braunen Augen– Jazz kam es vor, als hätte er gerade einer Nonne bei einem Striptease zugeschaut. G. Williams buschiger Schnauzer zitterte.
    » Sie wissen, wie ich aufgewachsen bin«, sagte Jazz leise und mit belegter Stimme. » Der Hobbyraum. Die Trophäen. Es war meine Aufgabe, sie für ihn in Ordnung zu halten. Ich verstehe diese Typen.«
    Diese Typen. Serienmörder. Er musste es nicht aussprechen.
    G. William zuckte zusammen. Er war mit den Einzelheiten von Jazz’ Aufwachsen genauestens vertraut. Nach Billy und Jazz– und Jazz’ verschwundener Mutter– wusste G. William am meisten darüber, wie es gewesen war, an der Seite von Billy Dent groß zu werden. Er wusste mehr als Gramma. Mehr als Connie, Jazz’ Freundin. Mehr als Melissa Hoover, die Sozialarbeiterin, die sich seit Billys Verhaftung ständig in Jazz’ Leben einmischte. Sogar mehr als Howie, der einzige andere Junge, den Jazz wahrhaft als seinen Freund betrachtete. Es war immerhin G. William gewesen, der Jazz an jenem Abend vor vier Jahren gefunden hatte, an jenem Abend, an dem Billys Terrorherrschaft endete. Jazz war im Hobbyraum gewesen– einem zweckentfremdeten Vorratsraum auf der Rückseite des Hauses, der nur durch eine versteckte Luke im Keller zugänglich war– und hatte getan, was sein
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