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Ich sehe dich

Titel: Ich sehe dich
Autoren: Janet Clark
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wackelte gefährlich. Mit einem präzisen Aufschwung hievte sie sich auf das Holzbrett. Sie lief das Gerüst entlang, griff nach der Stange und löste sie mit einer geschickten Bewegung nach oben aus der Verankerung.
    Die Stange in beiden Händen beobachtete sie Carlo. Wie angewurzelt stand er vor dem Gerüst. Es war zu dunkel, um von ihrem Platz aus seine Gesichtszüge zu erkennen, aber seine Körperhaltung war eindeutig. Er war verunsichert. Damit hatte er nicht gerechnet. Sara wusste instinktiv, dass sie diesen Moment ausnutzen musste. Sie rannte wieder über das Gerüst und sprang mit einem gellenden Schrei herunter. Sicher landete sie auf den Beinen.
    Jetzt war sie auf gleicher Höhe, etwa drei Meter von ihm entfernt. Sie taxierte ihn. Die Stange hielt sie mit beiden Händen fest umklammert vor sich.
    »Und, Arschloch, wo ist er jetzt, der starke Mann?«
    Mit einem Grunzen stürzte er sich auf sie. Sara schwang die Stange, traf ihn an der Schulter. Er wich zurück. Sie machte einen Schritt auf ihn zu. Wieder griff er an. Das Messer nach vorn gestreckt, die andere Hand zur Abwehr gegen die Stange vor sein Gesicht erhoben. Er durfte die Stange nicht zu greifen bekommen. Kurze, schnelle Bewegungen. Schnell genug, dass er nicht zuschnappen konnte.
    Sara holte aus. Zielte tief. Die Stange krachte gegen seine Rippen. Er heulte auf wie ein Tier. Nahm seinen Arm herunter und presste die Hand auf seinen Brustkorb. Sofort schlug sie wieder zu. Höher diesmal. Traf seinen Kopf. Er torkelte, wankte drei Schritte rückwärts. Sie folgte ihm, die Stange im Anschlag. Sein Bauch! Er ist am Bauch empfindlich! Sie zog die Stange etwas zurück und rammte sie ihm wie eine Lanze in den Bauch. Das Messer fiel aus seiner Hand. Er sackte in sich zusammen und fiel zu Boden.
    Sara trat zu ihm. Er bewegte sich nicht mehr. Sie hob sein Messer auf und lief zu Valeska. Sie legte Stange und Messer ab und kniete sich neben sie. »Valeska!«
    Sie rührte sich nicht. Sara tastete nach ihrem Puls, fand ihn nicht. Panisch fasste sie an den Hals, versuchte es dort. Endlich fühlte sie ein schwaches Schlagen. »Valeska! Es wird alles gut.«
    Erst jetzt bemerkte sie das Blut, das aus Valeskas Bauch quoll. Sie hob den Pullover und sah die klaffenden Wunden. Zwei Einstiche. Valeska musste sofort in die Notaufnahme. Sie schlüpfte aus ihrem Mantel und legte ihn so unter ihren Kopf und Schultern, dass der Oberkörper etwas höher gelagert war. Dann nahm sie die Beine und winkelte sie vorsichtig an, achtete darauf, ob eine Reaktion von der Schwerverletzten kam, ob ihr etwas unangenehm war. Doch Valeska rührte sich nicht. Schnell riss Sara sich Pullover und T-Shirt vom Leib. Das Baumwollshirt zu einer festen Kompresse gefaltet, presste sie es mit einer Hand auf die Wunden, während sie mit der anderen ihren Gürtel löste. In der Ferne hörte sie eine Sirene. Hierher! Valeska stirbt! Wir brauchen euch hier! Sie schob ihren Gürtel unter Valeskas Rücken durch und befestigte damit den improvisierten Druckverband. Dann schlüpfte sie wieder in ihren Pullover.
    »Wir brauchen Hilfe! Wo ist dein Handy?« Sie durchwühlte Valeskas Tasche. »Bitte, Valeska, stirb nicht, bitte, halt durch, ein kleines bisschen noch, bitte! Gleich kommt Hilfe!« Endlich ertastete sie ein Handy. Sie zog es heraus. Es war das von Jonas.
    Das Messer an ihrer Kehle kam so unerwartet wie die Hand, die sie an den Haaren zurückriss. Das Telefon fiel klackernd zu Boden. Noch immer in der Hocke, bemühte sie sich um ihr Gleichgewicht.
    »Hast du wirklich gedacht, ihr kommt davon?«
    Sara schwieg . Ja, das hab ich gedacht. Ihre Augen rasten von links nach rechts, verzweifelt auf der Suche nach einer Waffe, die sie greifen, mit der sie sich retten konnte. Die Stange war zu weit weg.
    Angst kroch ihren Rücken hoch und lähmte sie. Der Druck auf ihre Kehle wurde stärker. Das Messer ritzte schmerzhaft ihre Haut.
    Plötzlich nahm er ihre rechte Hand und legte sie um den Messergriff. Sie fühlte das raue Leder seiner Handschuhe, als er ihre Finger fest um den Griff quetschte. Wird er mich dazu zwingen, mir selbst die Kehle durchzuschneiden? Sara schloss die Augen. Jonas. Bitte verzeih mir!
    »Du weißt gar nicht, was du mir für einen Gefallen tust …« Seine Stimme bebte triumphierend. »Wenn Lydia keinen Selbstmord begeht, dann eben du. Erst hast du Lydia umgebracht. Dann dich. Eine Sache unter Frauen …«
    Der Druck seiner Hand nahm zu. Aufreizend langsam, als genieße er jede Sekunde,
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