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Ich sehe dich

Titel: Ich sehe dich
Autoren: Janet Clark
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Stopp. Lang und schwer. Kurz und leicht. Kurz und leicht. Kurz und schwer. Stopp …
    Sie stellte sich das Schrittmuster vor, es machte keinen Sinn, es sei denn, es waren zwei Fußgänger. Einer bremste, der andere schubste. Das musste es sein. Schubste?
    Plötzlich hörte sie Stimmen.
    »Wo willst du hin? Das ist eine Sackgasse.« Es war Valeskas Stimme. Trotzig und doch voller Angst.
    »Halt die Klappe.« Das war Carlos Stimme! Hatte er Valeska in seiner Gewalt? War sie in Gefahr? Wo war Michael? Hatte Carlo ihn … ? Sie wagte nicht, den Gedanken zu Ende zu bringen.
    Sie hörte lautes Rascheln. Dann sah sie zwei dunkle Gestalten aus der Hecke heraustreten. Sie erkannte Valeska an ihrer Statur, die Hände waren auf dem Rücken zusammengebunden. Hinter ihr ging Carlo. Sara drückte sich an die Hecke und hoffte, nicht bemerkt zu werden. Er stieß Valeska unsanft vor sich her, den Bauzaun entlang, immer weiter von der Straße weg. Mit einer Hand hielt er einen länglichen Gegenstand an ihren Hals. Vermutlich das Messer, mit dem er auch sie bedroht hatte. Aber warum nutzte Valeska nicht ihre Pistole? Sie würde sie doch kaum weglegen, wenn sie sich bedroht fühlte. Verwirrt folgte Sara ihnen im Schutz der Hecke, sorgsam darauf bedacht, genug Abstand zu halten. Was sollte sie jetzt tun? Sie hatte keine Waffe, Valeska war gefesselt. Was konnte sie schon gegen Carlo ausrichten? Sie musste Hilfe holen, die Polizei rufen. Aber wie? Dazu müsste sie zur Tankstelle vorlaufen. Oder zur Straße, ein Auto anhalten, die Situation erklären. Den Fahrer bitten, die Polizei zu verständigen. Plötzlich hielt Carlo an. Mit der freien Hand hob er ein Gitter des Bauzauns an und zog es aus dem Verankerungsstein. Dann drückte er es ein Stück nach vorn und stieß Valeska durch die Öffnung auf das Baustellengelände.
    Sara lief auf Zehenspitzen den Weg entlang, wartete etwas, um ihnen wieder einen Vorsprung zu geben, und betrat dann über die gleiche Lücke die Baustelle. Sie zögerte. Tat sie das Richtige? Noch konnte sie umkehren, Hilfe holen. Nein, sie musste dranbleiben. Wenn sie jetzt zur Straße lief, würde sie nicht wissen, wo Carlo Valeska hinbrachte, vielleicht käme jede Hilfe zu spät für Valeska. Sie beobachtete, wie Carlo und Valeska auf den mehrstöckigen Rohbau zuhielten. Das musste das einsturzgefährdete Gebäude sein. Ob Carlo das wusste? Sie folgte ihnen um das Gebäude herum. Ein großes, beleuchtetes Plakat warnte: Achtung! Akute Lebensgefahr im Baustellenbereich . Sara wich zurück. Hier herumzulaufen, war leichtsinnig. Es war mehr. Es war lebensgefährlich.
    Das Scheppern von Metall ließ sie zusammenzucken. Schnell lief sie in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Im schwachen Schein einer Notlampe sah sie, wie Carlo die Stahltür eines Außenaufzugs hinter sich schloss. Mit einem Rumpeln setzte der Aufzug sich in Bewegung. Entsetzt sah Sara ihm nach, bis ihn die Dunkelheit verschluckte.

82
    Lydia hatte Angst. Schreckliche Angst. Was wollte Carlo mit ihr in diesem Gebäude? Sie bewegte sich etwas, um nach unten zu sehen, und spürte sofort, wie der Druck des Messers sich verstärkte. Es tat weh.
    »Verdammt! Was willst du?« Langsam regte sich Wut in ihr. Das war gut. Wut war gut. Wut hieß kämpfen.
    »Halt’s Maul.«
    Der Aufzug hielt. Carlo entsperrte die Tür und stieß Lydia in einen offenen Raum. Die Winternacht war hell genug, um zu erkennen, dass zur Süd- und Westseite fast die gesamte Front mit bodentiefen Öffnungen versehen war, die darauf warteten, verglast zu werden. Betonpfeiler deuteten an, wo Trennwände geplant waren, und auf dem Fußboden waren dicke Rohre verlegt. Sie stolperte absichtlich darüber und ließ sich auf den Boden fallen. Obwohl sie versuchte, den Aufprall mit den Knien abzufangen, da ihre Hände noch hinter dem Rücken zusammengebunden waren, landete sie unsanft auf der Schulter. Sie stöhnte, versuchte, sich aus seiner Reichweite zu rollen, aufzuspringen, wegzurennen, doch er war schneller. Er riss sie an ihren Armen nach oben. Der Schmerz durchzuckte sie wie ein Feuerstrahl.
    »Keine Tricks.«
    »Was willst du?«, stieß sie mühsam zwischen den Zähnen hervor. Der Schlag zwischen die Schulterblätter zwang sie einen Schritt weiter zu den großen, schwarzen Fensterlöchern.
    »Warum hast du Sven umgebracht?« Sie wartete auf seine Faust in ihrem Rücken. »Was hatte er dir getan?«
    Der Schlag traf sie mit ungeheuerlicher Wucht. Lydia keuchte, stolperte weiter.
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