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Ich sehe dich

Titel: Ich sehe dich
Autoren: Janet Clark
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Brust, als könne sie dadurch das Tempo des Herzschlags beeinflussen. Konzentriert atmete sie ein und aus, tief in den Bauch, immer darauf achtend, dass sie die Luft durch die Nase einsog und durch den Mund ausstieß.
    Sie wusste nicht, wie lange sie so dagestanden hatte, wie lange sie gebraucht hatte, um wieder zu funktionieren, zu dem Mann zu gehen, um seinen Puls zu prüfen. Er lebte, aber der Atem ging unregelmäßig und flach. Ein rotes Rinnsal floss unter der Mütze hervor. Sie zog sie ihm aus und sah eine klaffende Platzwunde, um die herum die blonden Haare sich schnell mit Blut verfärbten. Sie öffnete seine Lederjacke und suchte nach seinem Portemonnaie. Wen hatte sie niedergeschlagen? Sie öffnete den flachen Lederbeutel und zog den Personalausweis heraus.
    »Scheiße!« Panisch nestelte sie in ihrer Jacke nach ihrem Handy und wählte die 112.
    »Rettungsnotdienst. Wer spricht bitte?«
    »Ich brauche einen Krankenwagen. Schrebergartenanlage im Hirschgarten, Parzelle 45.«
    »Ihren Namen bitte.«
    Lydia sprach hektisch weiter. »Er hat eine Platzwunde am Kopf. Er ist bewusstlos. Und er blutet!«
    »Ihren Namen bitte.«
    »Der Verletzte heißt Michael Seitz.« Er ist einer von den Guten. »Beeilen Sie sich!«
    »Ihren Namen bitte!«
    Lydia legte auf, steckte das Handy weg und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Was hatte sie getan? Vielleicht hatte Sara ihn geschickt, vielleicht konnte sie nicht selbst kommen. Oh Gott. Hoffentlich kommt er durch. Hoffentlich hatte sie nicht zu fest zugeschlagen. Eine Hirnblutung ausgelöst. Oder einen Schädelbruch. Hoffentlich war sie nicht zur Mörderin geworden.
    Sie brachte ihn vorsichtig in die stabile Seitenlage.
    »Das hast du gut gemacht.«
    Die Stimme durchfuhr Lydia wie ein Schwert. Sie sprang auf. Doch es war zu spät. Schon spürte sie sein Messer an ihrer Kehle. Sie wusste, dass sie verloren hatte. Fünf Jahre war sie weggelaufen. Fünf Jahre Angst. Fünf Jahre Hoffnung.
    Es war vorbei.
    »Hoffen wir, dass er wieder aufwacht und sich an dich erinnert. An die wahnsinnige Lydia. Die Serienmörderin.«
    Er verstärkte den Druck des Metalls gegen ihren Hals und zog ein paar Handschellen hervor. Er hielt sie vor ihr Gesicht.
    »Na, erinnerst du dich?« Dann bog er ihre Arme auf den Rücken und legte ihr geschickt die Handschellen an. Grob schubste er sie zur Tür. »Gehen wir.«

81
    Das Taxi kämpfte sich im Schneckentempo durch den einsetzenden Feierabendverkehr. Sara hielt Peters Handy krampfhaft in der Hand und starrte abwechselnd auf den blinkenden Punkt, der sich seit Aktivieren der Trackingfunktion nicht bewegt hatte, und die Ampel, die höchstens vier Autos auf einmal über die Kreuzung ließ.
    »Nervös?«
    »Mhm. Wie lange brauchen wir wohl?« Sie hielt ihm das Display vor die Nase. »Ich … Es ist ein Notfall!«
    »Ist das so ein Spionageding? Meine Schwester hat damit ihren Mann in flagranti erwischt. Über sein Handy. Armer Kerl.« Er fuhr wenige Meter auf die Ampel zu, bevor sie wieder auf rot sprang. »Der hatte davor schon nichts zu lachen. Und? Ist wohl nicht, wo er sein sollte, der Gatte … Ist doch das Handy vom Gatten, das Sie verfolgen?«
    »Von meinem Sohn. Da, das ist die Internetseite von dem Ortungsdienst. Wo der Punkt leuchtet, ist das geortete Handysignal. Unglaublich, nicht, was es heute alles gibt.« Sara richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf den blinkenden Punkt. Ein Piepton erinnerte sie daran, dass Peters Handy nicht aufgeladen war. Die Leuchte zeigte nur noch einen Balken an. Peter hatte sie gewarnt.
    »Sohn?« Die Überraschung in seiner Stimme ließ sie aufblicken. Er musterte sie kritisch, als könne er sich nicht vorstellen, dass sie Mutter war, noch dazu von einem Sohn, der alt genug war, um ein Handy zu besitzen.«
    »Wie alt ist er denn?«
    »Acht.«
    »Acht?« Er beugte sich zu ihrem Sitz und griff nach dem Handy. »Das ist nicht der Hirschgarten. Das ist die Schrebergartensiedlung.«
    »Dann muss ich eben dorthin.« Schrebergartensiedlung. Das also war die Grünflache. Vor Jahren hatte sie vom Balkon einer Freundin aus über die Siedlung geblickt und sich gefragt, wie man sich je in dem Gewirr von Wegen und Häuschen zurechtfinden konnte. Im Winter war das Gelände verlassen. Hier und da ein einsamer Hobbygärtner, der nach dem Rechten sah und überprüfte, ob sich Obdachlose in seinem Sommerhäuschen breitgemacht hatten. Ob wirklich Valeska Jonas’ Handy hatte? Falls ja, was machte sie dann dort? Besaß sie eine
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