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Ich sehe dein Geheimnis

Ich sehe dein Geheimnis

Titel: Ich sehe dein Geheimnis
Autoren: Kim Harrington
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Zehenspitzen davonschlich. Im gleichen Augenblick kamen unsere nächsten Kunden, ein junges Paar, zur Tür herein, bestaunten mit offenem Mund das Chaos und gingen sofort wieder. Es war noch nicht einmal elf Uhr und ich hatte noch kein Frühstück bekommen. Aber so war mein Leben.
    Willkommen bei der Freakshow.

Drei
    Als Perry und ich in einem Alter waren, in dem die meisten Mütter ihren Kindern erklärten, wo die Babys herkamen, erklärte uns Mom, dass wir uns bald in Freaks verwandeln würden.
    »Es gibt keine Garantie, dass ihr auch damit gesegnet seid«, sagte sie aufgeregt. »Aber angesichts eurer Abstammung solltet ihr wissen, worauf ihr achten müsst.«
    Unsere Eltern stammten ursprünglich aus einer kleinen Stadt in den Berkshire Hills im Westen von Massachusetts, die sich selbst als »spiritualistische Gemeinde« bezeichnete. Jeder in der Stadt behautete, übersinnliche Fähigkeiten zu haben, und die Familien mit den größten Begabungen waren bestrebt, sich untereinander fortzupflanzen, um die Gene zu erhalten. Manche Ehen wurden sogar arrangiert.
    Meine Mutter und mein Vater stammten aus »guten Familien« – das bedeutete, dass dort schon seit mehreren Generationen Freaks vorkamen. Doch niemand konnte ahnen, was in meiner DNA verborgen lag. Das Einzige, was in unserer Familie konstant zu sein schien, war die Tatsache, dass sich unsere Fähigkeiten in der Pubertät zeigten.
    Ich hatte immer von der Gabe meiner Mutter gewusst. Zum Beispiel kam ich nie mit einer Ausrede davon. Als ich klein war, wusste Mom immer, wann ich log. Der zwei Jahre ältere Perry gab mir ein paar Tricks, wie man Mom aus den eigenen Gedanken heraushalten konnte, damit ich nicht in allzu große Schwierigkeiten geriet. Als Mom Perry und mir später von unseren besonderen Fähigkeiten erzählte, überraschte mich das nicht besonders. Es war eben eine Tatsache, genau wie viele andere vererbte Eigenschaften.
    Mom erklärte, unsere Fähigkeiten seien genau wie andere Talente. Einige Menschen könnten wunderbar singen oder seien gute Sportler, und sobald sie viel übten, käme ihr Talent zur Geltung. So sei das auch mit uns. Als sich unsere Fähigkeiten schließlich zeigten, half uns Mom, sie zu erforschen, zu kontrollieren und zu nutzen, genau wie es ihre Mutter einst mit ihr getan hatte. Perrys Gabe erkannten wir, als er Mom im Alter von zwölf Jahren schöne Grüße von Großmutter ausrichtete. Dass Großmutter damals schon tot war, interpretierten wir als eindeutigen Hinweis.
    Als ich elf Jahre alt war, besuchte meine Mutter eine Sprechstunde in der Schule. Meine Lehrerin erzählte ihr, ich könne mich zurzeit nicht richtig konzentrieren und mein Potenzial nicht ausschöpfen. Die meisten Mütter wären besorgt gewesen. Meine war begeistert. Sie kam nach Hause und fragte mich aus, wollte dem Problem auf den Grund gehen. Ich gab zu, dass ich Schwierigkeiten hatte: Ich geriet in den Sog seltsamer Tagträume, die meistens keinen Sinn ergaben. Ich wusste nicht, dass sie ein Zeichen für die Entwicklung meiner Gabe waren.
    Meine erste Vision hatte ich in der neunten Klasse. Nachdem Cody Rowe eine einfache Rechnung an der Tafel nicht geschafft hatte, schickte ihn der Lehrer auf seinen Platz zurück und bat mich, es als Nächste zu versuchen. Ich hasste es, im Mittelpunkt zu stehen, aber ich gehorchte und trottete nach vorne. Mit zitternden Fingern wischte ich Codys falsche Lösung weg und nahm die Kreide in die Hand. Ihr Geruch und das Gefühl von zwanzig starrenden Augenpaaren in meinem Rücken verwirrten mich. Um ruhiger zu werden schloss ich die Augen und merkte, dass ich vergessen hatte, was ich rechnen sollte. Ich versuchte krampfhaft, mich daran zu erinnern, und dann fiel es mir ein. Mit geschlossenen Augen schrieb ich die Lösung an die Tafel. Dann trat ich einen Schritt zurück, um mein Werk zu begutachten.
    Erst hörte ich ein Kichern, dann lautes Gelächter. Der Lehrer schickte mich auf meinen Platz zurück. Ich hatte Codys falsche Lösung an die Tafel geschrieben. Ich war völlig verwirrt. Als ich zurück an meinem Tisch und wieder in Sicherheit war, fiel mir die richtige Lösung ein und ich begriff nicht, warum ich etwas anderes hingeschrieben hatte. Mir war nicht klar, dass die »Lösung«, die mein Geist gefunden hatte, nicht meine eigene war, sondern jene, die Cody wenige Minuten zuvor mit derselben Kreide aufgeschrieben hatte.
    Mom erklärte mir meine Fähigkeit und half mir, sie zu kontrollieren. Ich lernte, die
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