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Ich sehe dein Geheimnis

Ich sehe dein Geheimnis

Titel: Ich sehe dein Geheimnis
Autoren: Kim Harrington
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folgten.
    »Gab es Probleme?«, fragte Perry. »Ich habe die zwei Vollidioten hineingehen sehen.«
    »Nichts, womit ich nicht klargekommen wäre«, sagte ich, und Perry lächelte.
    Auf den ersten Blick würde uns niemand für Geschwister halten. Ich hatte die roten Haare und Sommersprossen meiner Mutter geerbt und war genauso klein wie sie, während Perry schwarzhaarig, hellhäutig und knapp einsfünfundachtzig groß war. Allerdings hatte er dieselben himmelblauen Augen wie Mom und ich. Eine kleine Narbe an der rechten Augenbraue sorgte für eine geheimnisvolle Ausstrahlung und diese Kombination veranlasste fast alle Mädchen dazu, ihre Moralvorstellungen zu lockern.
    Perry verbrachte die meiste Zeit damit, Mädchen nachzustellen und etwas mit ihnen anzufangen. Dafür eignete sich das Leben in einer Touristenstadt ganz hervorragend. Jede Woche kam eine Ladung neue Mädchen und eine Woche später fuhren alle wieder nach Hause. Perry war achtzehn und würde im Herbst aufs College gehen. Die armen Frauen in Boston taten mir jetzt schon leid.
    Einmal rutschte Mom heraus, Perry sähe aus wie unser Vater. Nicht, dass wir uns daran erinnern könnten. Dad war vor fünfzehn Jahren ohne ein Wort verschwunden. Für Mom wäre es eine Qual, mehr von ihm zu erzählen, also beließen Perry und ich es dabei. Wir waren überzeugt, dass der gute alte Dad uns verlassen hatte und Mom ihn immer noch zu sehr liebte, um schlecht über ihn zu reden, weshalb sie lieber gar nichts sagte.
    Perry blinkte und bog in eine Seitenstraße ein. So vermied er die Route 28, die zu dieser Jahreszeit eher einem Parkplatz gleich kam. Im Sommer herrschte für gewöhnlich schon in Hyannis und Yarmouth ziemlich viel Verkehr, aber in Eastport war es noch schlimmer – vor allem wegen der Rigsdale Road. Sie war nach einem der ersten Siedler benannt, die Nordamerika erreichten (denn wenn wir hier auf Cape Code eines liebten, waren es unsere Siedler), verlief parallel zur Route 28 und beheimatete genauso viele Geschäfte, Restaurants und Motels wie diese.
    Wir bogen rechts auf die Elm Street ein und gleich wieder links auf die Ringsdale Road – und mussten sofort anhalten. Ich sag’s ja: Verkehr.
    Ich seufzte und sah auf die Uhr. Neun Uhr fünfundfünfzig. Wir öffneten immer um zehn, und weil dieses Wochenende um den Unabhängigkeitstag und die damit verbundenen Ferien lag, waren alle unsere Wahrsagetermine für den Vormittag ausgebucht. Am Nachmittag würde es erfahrungsgemäß viele Spontanbuchungen geben. Ich hätte Perry nicht bitten sollen, mich wegen der Donuts zum Supermarkt zu fahren. Mom würde darüber nicht erfreut sein. Für einen angeblich freigeistigen Hippie regte sie sich ganz schön über Verspätungen auf.
    Zwei Minuten später waren wir immer noch keinen Zentimeter vorangekommen.
    Perry stöhnte. »Was ist da vorne nur los?«
    Ich ließ das Fenster herunter und streckte den Kopf hinaus. Ein paar Hundert Meter weiter vorne waren überhaupt keine Autos! Was war hier los? Ein Unfall? Bevor die schwüle, feuchte Luft mir den Atem nehmen konnte, zog ich den Kopf wieder zurück und drehte die Klimaanlage hoch.
    »Keine Ahnung«, sagte ich.
    Endlich bog weiter vorne ein Streifenwagen rückwärts auf die Straße ein. Er kam aus der Zufahrt des King’s Courtyard Motel, das zwar weder einen König beherbergte noch einen Hofgarten, dafür aber eine kitschig im Tudor-Stil eingerichtete Lobby hatte und nur neunundsiebzig Dollar pro Nacht kostete. Der Streifenwagen blockierte die Straße, sodass ein Krankenwagen und drei weitere Polizeiautos das Motel ungehindert verlassen konnten. Jetzt war ich wirklich neugierig. Ich hatte nicht gewusst, dass es in unserer Stadt überhaupt vier Streifenwagen gab .
    Ein Krankenwagen allein wäre mir nicht aufgefallen. Herzinfarkte und die eine oder andere Überdosis Drogen gab es jeden Sommer. Aber das hier schien etwas Ernsteres zu sein.
    Aufregung? In Eastport? Unmöglich! Aber ich hatte keine Zeit, mich als Jungdetektivin zu betätigen. Die Autos setzten sich langsam wieder in Bewegung und wir waren schon viel zu spät dran.
    »Mom bringt mich um«, sagte ich nur halb im Scherz.
    »Ja«, murmelte Perry geistesabwesend. Als wir an dem Motel vorbeifuhren, starrte er aus dem Fenster.
    Eigentlich hatte ich erwartet, dass er mit einem Witz versuchen würde, mir die Angst vor dem zu erwartenden Ärger zu nehmen. Stattdessen drehte er das Radio lauter, was allerdings genauso gut half. Die laute Musik verschluckte meine
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