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Ich schnapp' mir einen Mann

Ich schnapp' mir einen Mann

Titel: Ich schnapp' mir einen Mann
Autoren: Eva Völler
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Hampelmann feuern. Wenn es sonst
nichts brachte, würde es ihm wenigstens für eine Minute Erleichterung
verschaffen. Allein der Entschluss tat schon gut.
    Tief Luft holend, gelang es ihm, die äußere Beschaffenheit
einer Mauer einzunehmen, einer Mauer, die Winkler jedes Entweichen
unmöglich machte.
    Wie Schartenbrink sofort erkannte, fehlte es dem jungen Anwalt
noch an der nötigen Öffentlichkeitserfahrung. Er war groß, hielt sich
gerade, sah gut aus, bewegte sich gut. Aber ihm ging der Sinn fürs
richtige Timing ab. Er kaute überstürzt auf der Tablette herum, als er
des gewaltigen gelben Mikros mit AMS-Aufdruck ansichtig wurde, das sich
wie aus dem Nichts vor seiner Nase materialisierte.
    »Herr Dr. Winkler«, rief Schartenbrink mit zwingendem Timbre
in der Stimme, »ich bin Herbert Schartenbrink von AMS!«
    »Angenehm«, murmelte Anton, den Mund voller weißer Krümel.
    Schartenbrink bemühte sich, nicht die Augen zu verdrehen.
»Herr Dr. Winkler, können Sie für unsere Zuschauer erläutern, welche
Verteidigungsstrategie Sie als Rechtsanwalt in diesem Fall verfolgt
haben?«
    Anton würgte geräuschvoll die Tablette herunter und zwang
sich, sie unten zu behalten. Es fehlte nicht viel, und er hätte mit
einem Schwall Magensaft dieses Mikro ruiniert. Zum Teufel, hatte er
nicht heute schon genug Probleme am Hals? Aber als hoffnungsvoller
Anwärter auf eine Partnerschaft bei der renommiertesten Kanzlei am Ort
gab er sich keinen Illusionen darüber hin, wie unermesslich wichtig, ja
geradezu unbezahlbar heutzutage eine gute PR war. Er räusperte sich und
setzte ein strahlendes Lächeln auf. »Unser Mandant ist unschuldig, und
das haben wir unserer Meinung nach zweifelsfrei im Laufe der letzten
Verhandlungstage beweisen können.«
    Er blickte mit medienwirksamem Stirnrunzeln auf seine Rolex
(Schartenbrink erkannte die Nobelmarke im Bruchteil einer Sekunde) und
sagte mit unglaublich seriösem Gesichtsausdruck direkt in die Kamera:
»Entschuldigen Sie bitte, die Verhandlung fängt in wenigen Minuten an.«
    Der Junge lernte schnell, stellte Schartenbrink fest.
    Und schon war der Anwalt in der Menge verschwunden, die sich
vor dem Gerichtssaal staute.
    Schartenbrink hüstelte und fragte sich, ob seine Stimmung sich
auf sein Aussehen auswirkte. Die Frau, die jeden Abend in der Maske das
Moderatorenteam zu Tode nervte, behauptete regelmäßig, nur wer sich gut
fühle, könne gut aussehen. Demnach müsste er so aussehen, als wäre er
seit Tagen tot.
    »Meine Damen und Herren«, sagte er zu der laufenden Kamera,
»ich bin Herbert Schartenbrink von AMS. Wir berichten für Sie aktuell
von der Urteilsverkündung gegen Zacharias Ziegler alias Ziggy den
Zigeuner. Unter anderem wird uns gleich ein Fachmann erläutern, welcher
Art die Auswirkungen sind, die ein Fünfzig-Kilo-Betonklotz auf den
menschlichen Organismus hat.«
    Der Beleuchter gab ein ersticktes Grunzen von sich und ließ um
ein Haar den Scheinwerfer zu Boden krachen. Zwei Frauen, die nur einen
Meter weit weg standen, kicherten schrill. Dämliche Hühner. Was wussten
die schon? Hatten die vielleicht eine Ahnung davon, wie viel Schweiß
und Herzblut er vergießen musste, um Weibern wie ihnen jeden Abend ein
super Infotainment zu liefern? Wie schwierig und teuer es war,
irgendeinem dämlichen Mediziner, der in der Fachwelt was zu melden
hatte, ein paar angemessene, zu diesem Fall passende Fachausdrücke
rauszuleiern?
    Er lächelte voll warmer Zuversicht in die Kamera. »Meine Damen
und Herren, wir sehen uns gleich nach der Werbung. Bleiben Sie dran!«
    Der Gerichtssaal barst vor Zuschauern und
war erfüllt von Stimmengewirr. Ein halbes Dutzend Wachleute hatte bei
der Tür und an den Wänden Stellung bezogen. Sie äugten wachsam in die
Runde, bereit, bei dem leisesten Anzeichen von Aufruhr die
Öffentlichkeit auszuschließen und sämtliche Zuschauer auf den Gang zu
scheuchen, wo sie der lauernden Pressemeute hätten Gesellschaft leisten
können.
    Ein Gerichtsdiener schob einen voll beladenen Aktenwagen zur
Richterbank, vorbei am Staatsanwalt, der sich gerade mit einer
Referendarin hinter seiner Bank verschanzte. Die Protokollführerin saß
schon an ihrem Platz, sie hämmerte auf der Tastatur ihres aufgeklappten
Laptops herum, ohne einen Blick an ihre Umgebung zu verschwenden. Wie
auf ein geheimes Zeichen kam der Vorsitzende aus dem
Besprechungszimmer, das hinter der Richterbank lag. Die beiden
Beisitzer sowie die zwei Schöffen folgten in gemessenem Abstand.
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