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Ich schnapp' mir einen Mann

Ich schnapp' mir einen Mann

Titel: Ich schnapp' mir einen Mann
Autoren: Eva Völler
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Die
Zuschauer sprangen auf; nach den vorangegangenen fünf Prozessterminen
waren die meisten mit dem Procedere der Verhandlung vertraut.
    Anton saß mit tief gesenktem Haupt auf seinem harten Stuhl
hinter der Verteidigerbank und war überzeugt, in weniger als drei
Minuten an einem Eingeweidekrampf zu sterben. Er hörte das Raunen um
sich herum, das Klicken des Laptops und das Knistern von Buchseiten.
Neben ihm raschelte der Referendar mit den Notizzetteln herum, die
Anton für sein Plädoyer vorbereitet hatte. Natürlich hatte Anton auch
einen Laptop in seinem Koffer, doch er würde sich hüten, das Ding vor
Gericht auszupacken, genauso wenig wie sein Handy. Die gesamte
Richterbank würde in stummer Abneigung erstarren und ihn sofort in die
unterste Schublade stecken. Herr Dr. Anton Winkler-Wichtigtuer, mit
viel Knete, dafür aber null Ahnung, was mit teurer Technik übertüncht
werden musste. Nein danke. Da waren die Zettel viel besser. Mit Zetteln
wirkte er sympathisch-jungenhaft (wir alle haben doch schon mal
gespickt, nicht wahr?) und nahm jedermann für sich und gleichzeitig für
seinen Mandanten ein.
    Aber heute würde Anton die Zettel nicht brauchen. Er würde
kein Plädoyer halten können. Er konnte ja kaum das Wasser halten.
    Er wagte nicht, aufzuschauen, denn eine innere Stimme sagte
ihm, dass er einen tödlichen Infarkt erleiden würde, wenn er dem Blick
des Vorsitzenden begegnete. Anton hatte bei diesem Richter eine
sechsmonatige Referendariatsstation durchlaufen. Er hatte eine
Drei-Minus gekriegt, mit allem Wohlwollen, dessen sein Ausbilder fähig
war. Der Mann galt als absolut gnadenlos, als einsamer Rächer der
Verbrechensopfer und Plagegeist aller Schöffen, Referendare, Richter
auf Probe und sonstiger subalterner Personen in seinem Dunstkreis. Bei
Gericht und in den Kanzleien nannte man ihn nur das lächelnde Fallbeil.
Anton wusste mit neunundneunzigprozentiger Sicherheit, dass er nicht
den Hauch einer Chance hatte, Ziggy da rauszupauken. Nur gut, dass
Ziggy das Verteidigerhonorar bar und im Voraus hatte zahlen müssen,
denn sonst hätten Schnellberger und Partner nicht nur unter dem herben
Imageverlust seines – Antons – Versagens zu leiden,
sondern auch unter der schlechten Zahlungsmoral, die nach dem Ende
eines Prozesses ganz akut bei allen Angeklagten auftrat – es
sei denn, man hatte das Finanzielle vorher geregelt.
    Am Eingang zum Sitzungssaal entstand Tumult, untrügliches
Zeichen dafür, dass der Angeklagte hereingeführt wurde. Jetzt riskierte
Anton doch einen Blick. Ziggy kam näher, in Handschellen, flankiert von
zwei mörderisch dreinblickenden Uniformierten. Er grinste von einem Ohr
bis zum anderen, ein Siegertyp, dem niemand auch nur das Geringste
anhaben konnte. Er sah aus, als hätte er soeben die Einlaufwette des
Jahrhunderts gewonnen. Anton fragte sich, woher der Mann diesen
Optimismus nahm. Wusste er denn nicht, dass er sozusagen schon mit
beiden Beinen im Gefängnis stand, und zwar lebenslänglich? Anton hoffte
nur, dass er nichts sagte. Zumindest nichts Universalsprachliches wie
fuck oder verfuckt, das er nur zu gern in jede Unterhaltung einflocht.
    Anton stand auf und streckte seinem Mandanten die Hand
entgegen. Ziggy ergriff sie mit seinen gefesselten Händen und drückte
sie liebenswürdig. Irgendwie musste es ihm in der Untersuchungshaft
gelungen sein, sich die Ohren piercen zu lassen. Er trug hochkarätige
Brillis für mindestens zwanzigtausend Mark spazieren, die mit dem Gel
in seinem Pferdeschwanz um die Wette glänzten.
    »Doktorchen. Toll, Sie zu sehen. Sie sind ein bisschen blass
um die Nase, mein Junge.«
    Dazu fiel Anton nichts ein. Er fühlte sich nicht nur blass,
sondern durchsichtig. Er war ein Niemand, ein Nichts, ein Versager, ein
armseliges Gespenst der Jurisprudenz, von einem unglückseligen
Schicksal in diesen Gerichtssaal verschlagen.
    Die Uniformierten schoben Ziggy in die Bank des Angeklagten,
direkt hinter Antons Stuhl. Er konnte seinen Atem im Genick spüren. Ihm
wurde abwechselnd heiß und kalt. So musste Wilhelm Teilmeier sich in
den Minuten vor seinem Tod gefühlt haben, genauso nichtswürdig,
ängstlich und ausgeliefert.
    Anton warf einen raschen Blick hinüber zur Zuschauerbank. In
der ersten Reihe saßen Ziggys Chauffeur und sein Buchhalter. Jedenfalls
nannte Ziggy die beiden so. Sie waren beide zwischen eins neunzig und
zwei Meter groß und bestanden aus jeweils hundert Kilo schierer
Muskelmasse, darüber Boxernase, Blumenkohlohren und
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