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Ich schnapp' mir einen Mann

Ich schnapp' mir einen Mann

Titel: Ich schnapp' mir einen Mann
Autoren: Eva Völler
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am weitesten weg von Hildegard, die
eben die unverzichtbare Übungskassette einlegte.
    Flora gab Anita und Tobias das obligatorische
Begrüßungsküsschen und rollte ihre Matte neben Anita aus.
    »Kommt Heiner noch?«, fragte Anita.
    »M-m.« Flora schüttelte den Kopf.
    »Ich dachte, du wolltest ihn überreden, doch noch mal
mitzukommen.«
    »Hat nicht geklappt.«
    »Hat er keine Lust, oder was?«
    »Er muss noch ein Bild fertig machen.«
    »Welches? Das Hundertste seiner unverkäuflichen Werke?«
    Flora schwieg. Anita war ihre beste Freundin, was sie aber
nicht davon abhielt, von beleidigender Direktheit zu sein.
    Hildegard bezog gleichzeitig mit dem Einsetzen des
Entspannungsgedudels Stellung in der Mitte der Halle und klatschte in
die Hände. Sie trug einen stramm sitzenden, altertümlichen
Gymnastikanzug aus hundert Prozent atmungsfeindlichem Polyester, der
ihr mindestens zwei Nummern zu klein war und roch, als hätte sie ihn
seit zwanzig Jahren niemals abgelegt. Ihre Dauerwelle sah regelmäßig so
aus, als wäre sie stundenlang durch einen Orkan marschiert. Aber als
Hebamme war Hildegard angesagt wie keine Zweite. Sie hatte alles drauf,
Leboyer, Lamaze und, wenn es sein musste, auch den brutalen Feldwebel
vom Dienst. Ihre Dammschnittrate war legendär niedrig, ebenso wie der
Anteil der von ihr eingesetzten Schmerzmittel bei der
Austreibungsphase. Eine Frau aus der Rückbildungsgymnastik (die fand
immer im Anschluss an die Vorbereitungsgymnastik ebenfalls hier in der
Halle statt) hatte überglücklich erzählt, sie hätte sich bei ihren
letzten zehn Eröffnungswehen die Seele aus dem Leib gebrüllt und um
eine Schmerztablette gebettelt, ein Zäpfchen, eine Infusion, eine
Vollnarkose, Sterbehilfe, ganz egal, was. Aber da hatte sie bei
Hildegard auf Granit gebissen. Die hätte konsequent jede Gabe von
Dolantin oder anderen Analgetika abgelehnt, jegliches noch so schrille
Flehen um einen Pudendusblock oder eine schnelle, gnädige PDA war
ungehört im Kreißsaal verhallt, genau, wie man es vorher ausgemacht
hatte. Dafür sei sie Hildegard bis an ihr Lebensende wahnsinnig
dankbar, da sie nur so die Geburt als total authentisches und absolut
einmalig elementares Erlebnis in Erinnerung behalten würde. Und
hinterher hätte Hildegard in ihrer einfühlsamen Art den Mutterkuchen in
den mitgebrachten Tuppertopf gepackt, damit der Kindsvater ihn im
Garten zusammen mit einem Baumsetzling einpflanzen konnte.
    »Wir nehmen die Entspannungshaltung ein!«, befahl Hildegard.
    Flora, Anita, Tobias und alle anderen Teilnehmer setzten sich
gehorsam auf und sortierten ihre Glieder zum lockeren Schneidersitz.
Floras Blicke gingen reihum, zehn runde weibliche Bäuche neben zehn
Paar großen, nackten, männlichen Füßen. Der elfte Bauch gehörte ihr,
aber das elfte Paar Füße steckte derzeit in einem Paar abgewetzter
Turnschuhe, die wiederum unterwegs waren zu Heiners Atelier. Zusammen
mit Heiner, dem Besitzer der Füße, der wahrscheinlich wieder den ganzen
Abend malen und nicht vor Mitternacht nach Hause kommen würde.
    »Wir atmen tief hinab in den Beckenboden«, sagte Hildegard.
Sie legte ihre Hände auf ihren voluminösen Busen und strich mit den
Handflächen nach unten, als wollte sie eine gewaltige Luftblase abwärts
drücken.
    »Du wolltest ihm doch mal richtig die Meinung sagen«, sagte
Anita, Luft einsaugend wie eine Gabel voll überlanger Spaghetti.
    Flora kam aus dem Takt und verschluckte sich an einer Ladung
Luft. »Ich bin bis jetzt nicht dazu gekommen. Aber ich habe es fest
vor.«
    »Wann denn? Wenn das Baby da ist? Hör mal, es ist diese
Grundeinstellung von ihm, die ich nicht okay finde. Dass er überhaupt
nicht bei der Entbindung dabei sein will und so. Ich kapiere nicht, wie
er sich darauf rausreden kann, dass ihm bei der Geburt schlecht wird,
wenn er noch nie bei einer zugesehen hat! Du musst da echt noch dran
arbeiten, Flora.«
    Flora ging nicht darauf ein. Sie folgte schweigend den
Anweisungen von Hildegard, die mit einem weiteren Händeklatschen den
Beginn der Presswehen (Rückenlage mit angezogenen Beinen) einleitete,
passend zum nächsten Musikstück auf der Kassette, einem rasanten
Violinengefiedel mit leicht wimmerndem Unterton. Laut Hildegard musste
man sich beim Pressen mental in dieses Musikstück hineinversetzen, dann
würde sich der Rhythmus von ganz allein ergeben, wie eine Art
Pawlowscher Reflex. Keine Frage, dass jeder, der vernünftig pressen
wollte, die Kassette als Geburtszubehör brauchte. Sie
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