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Ich schnapp' mir einen Mann

Ich schnapp' mir einen Mann

Titel: Ich schnapp' mir einen Mann
Autoren: Eva Völler
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war eine
Eigenproduktion; das Gefiedel stammte von Hildegards Schwager, der
zweiter Geiger bei irgendwelchen Provinzsymphonikern war, und sie
verkaufte es gegen eine Schutzgebühr von fünfundzwanzig Mark pro Band.
    »Und jetzt wollen wir alle zusammen hecheln«, sagte sie mit
grimmiger Inbrunst.
    Flora hechelte fleißig und hatte dabei das Gefühl, alle
Hemmungen von sich zu pusten, sodass sie es wagte, sich mit ihren
nächsten Worten auf ein gefährliches Terrain zu begeben.
»Heiner-ist-in-letzter-Zeit-so-unaufmerksam«, sagte sie keuchend in
Anitas Richtung, und dann, in der nächsten Atempause: »Ist das bei dir
und Tobias auch so?«
    »Wenn du das meinst, was ich meine – was soll sich
denn jetzt, drei Wochen vor deinem Entbindungstermin, noch abspielen?«
    Flora wurde rot. »Das meine ich nicht.«
    Wenn du wüsstest, dachte sie, wie lange sich da schon nichts
mehr abspielt!
    »Bitte hecheln in der letzten Reihe«, mahnte Hildegard.
    Flora und Anita hechelten folgsam.
    »Ihr seid total aus dem Takt«, beschwerte sich ein Vater
rechts neben Flora. Seine Schweißfüße entfalteten ihr volles Aroma, als
er sich zu Flora und Anita umwandte. Sein Blick wirkte leidend und
vermittelte den Eindruck, als könne er nur schlecht damit fertig
werden, dass er das Kind nicht selbst gebären durfte. Für eine
Millisekunde hatte Flora Verständnis für Heiners Vorbehalte.
    »Und langsam ausatmen«, signalisierte Hildegard das Ende der
Presswehe. Die Geige verstummte für ein paar Sekunden und setzte dann
in lang gezogenem Jammerrhythmus wieder ein. Laut Hildegard vermittelte
dieser spezielle Klang ein authentisches Schmerzgefühl (worin alle
Teilnehmer des Kurses ihr zustimmten) und sei deshalb ganz wichtig als
Vorbereitung für die Entbindung (was niemand so recht glauben wollte,
aber man konnte ja nie wissen).
    »Was meinst du denn dann, wenn du nicht das meinst?«, wollte
Anita wissen.
    »Und jetzt gehen wir auf Hände und Knie und machen einen
schönen runden Buckel!«, rief Hildegard. Die Vierfüßlerhaltung war eine
beliebte Stellung für die Austreibungsperiode.
    Ringsherum Ächzen und Scharren. Flora wälzte sich wie alle
anderen in die vorgeschriebene Position und buckelte wie eine Katze,
während sie nach einer passenden Antwort suchte. Über Anitas
Katzenbuckel hinweg sah sie Tobias, der sich ebenfalls krümmte, so gut
es ging, und dabei so tat, als hätte er von ihrer Unterhaltung kein
Sterbenswörtchen verstanden.
    »Also, was ich meine …«, begann sie.
    »Und fallen lassen!«, rief Hildegard händeklatschend.
    Alle Buckel sackten durch, und aus Katzen wurden
Hängebauchschweine.
    »Ich meine ganz einfach, dass er mich überhaupt nicht bemerkt,
wenn er nach Hause kommt. Jedenfalls nicht in letzter Zeit.« Flora ließ
ihren Bauch durchhängen, bis er die Isomatte berührte. Der Stoff ihres
Umstandsbodys verursachte auf dem weichen Gummimaterial ein leise
schabendes Geräusch. Flora fragte sich, ob ihr Baby es hörte und wenn
ja, was es sich dabei dachte. Vielleicht: He, warum kriecht die Alte
auf dem Bauch? Oder: Was, zum Teufel, soll dieses dämliche Gerutsche?
    »Vielleicht mach ich mir zu viele Gedanken«, beschied sie
Anita. »Irgendwie will man ja immer alles perfekt haben. Ständig denk
ich drüber nach, wie ich alles unter einen Hut kriege. Vielleicht hab
ich einfach überzogene Ansprüche an Heiner. Ich meine, wenn er nicht
mit zur Vorbereitungsgymnastik will, will er's eben nicht. Und wenn die
Geburt nicht sein Ding ist, ist sie's eben nicht. Ich sollte diese
Einstellung einfach okay finden. Was meinst du?«
    Anita warf ihr einen Seitenblick zu, der Bände sprach, doch
sie verkniff sich eine ihrer üblichen spitzen Bemerkungen, als sie sah,
wie deprimiert Flora dreinschaute.
    Stattdessen sagte sie besänftigend: »Ich wette, er ist einfach
nur überarbeitet. Wahrscheinlich malt er zu viel.«
    Heiner hielt einen seiner größten
Borstenpinsel in der ausgestreckten Hand, einen von der Sorte, die er
zum Auftragen von Hintergrundfarben für seine wild-expressionistischen
Vier-Quadratmeter-Schinken benutzte.
    Die Farbe – ein sattes Magenta – tropfte
zähflüssig herunter und bildete kleine Kleckse zu seinen Füßen, die
entgegen Floras Annahme nicht in Turnschuhen steckten, sondern nackt
waren. Ebenso nackt wie der Rest von ihm.
    Und wie die Frau, die vor ihm stand.
    Die beiden befanden sich in Heiners Atelier, einem
heruntergekommenen Gelass mit zersprungenen Fenstern und verdreckten
Wänden in
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