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Ich klage an

Titel: Ich klage an
Autoren: Ayaan Hirsi Ali
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unberührt in die Ehe geht. An dem Dogma der Jungfräulichkeit wird festgehalten, indem Mädchen zu Hause eingesperrt und ihre äußeren Schamlippen zusammengenäht werden. Die Frauenbeschneidung verfolgt zwei Ziele: Die Klitoris wird entfernt, um die Sexualität der Frauen einzuschränken, und die Schamlippen werden zusammengenäht, um ihre Jungfräulichkeit zu garantieren.
    Es stimmt, daß es das Beschneidungsritual bei manchen animistischen Stämmen schon vor dem Aufkommen des Islam gab. Bei bestimmten Clans in Kenia wurden Frauen beschnitten, weil man Angst hatte, die Klitoris könnte bei der Geburt so groß werden, daß das Kind erstickt. Diese überlieferten lokalen Bräuche wurden durch den Islam verbreitet, verstärkt und geheiligt. In Ländern wie dem Sudan, Ägypten und Somalia, in denen der Islam sehr einflußreich ist, wird auf die Jungfräulichkeit sehr großen Wert gelegt.
    Außerdem wird mir vorgeworfen, mein negatives Bild vom Islam sei eine Folge meiner eigenen Traumata. Ich behaupte nicht, daß meine Kindheit und Jugend rosig gewesen seien, aber ich habe sie überstanden. Es wäre egoistisch, meine Erfahrungen und Erkenntnisse für mich zu behalten. Ich könnte das auch gar nicht. Dann dürfte ich beispielsweise nie Nachrichten sehen. Seit ich in den Niederlanden wohne, dreht sich alles nur um die Immigrations- und Integrationsprobleme von Zuwanderern - doch das Hauptproblem ist der Islam. Das läßt sich nicht verleugnen. Wir müssen uns die Fakten vor Augen führen und den Zuwanderern geben, was ihnen in ihrer eigenen Kultur fehlt: persönliche Würde. Die jungen Muslimas in den Niederlanden, deren Augen noch strahlen, brauchen nicht das gleiche durchzumachen wie ich.
    Marco - der junge Mann, der mir Het atheistisch manifest gegeben hatte - wohnte im selben Studentenwohnheim wie ich. Nach zwei Monaten vorsichtigen Abtastens schlug bei uns gleichsam der Blitz ein. Ich habe meinen Eltern nichts erzählt. Dafür meinem Bruder. Er verlangte, daß ich die Beziehung sofort beenden solle, aber damit stieß er bei mir auf taube Ohren. Marco und ich haben fünf Jahre lang zusammengelebt. Unsere Beziehung ist letzten Endes daran gescheitert, daß wir beide einen starken Willen haben und nicht nachgeben können. Das lief nur auf Streit hinaus. Darüber hinaus bin ich chaotisch, während er pünktlich und genau ist. Auch das führte zu Problemen. Wir lieben uns noch immer sehr, aber es hat nicht mehr funktioniert. In unserem Umfeld sahen wir Beziehungen, die trotz aller Probleme weitergeführt wurden - mit den entsprechenden Folgen. Das wollten wir nicht. Für mich war es übrigens ein sehr großer Schritt, mit einem Mann zusammenzuziehen. Das steht in krassem Gegensatz zu dem, was in unserer Kultur üblich ist: als Jungfrau in eine arrangierte Ehe zu gehen.
    Die Tatsache, daß ich nicht zwangsverheiratet werden wollte - weder mit meinem in Kanada lebenden Cousin noch mit sonst jemandem -, war tabu. Mein Vater sagte: »Mein Kind, glaub mir: Das ist das Beste für dich.« Ich glaubte ihm nicht und bin über Deutschland in die Niederlande geflohen. Ich habe meinem Vater einen in meinen Augen netten, aber auch deutlichen Brief geschrieben, in dem ich ihn anflehte, mich freizugeben. Diesen Brief schickte er mir zurück. An den Rand hatte er mit Rotstift geschrieben, daß er dies als Verrat betrachte, daß er mich nie mehr sehen wolle und daß ich mich nicht mehr als sein Kind bezeichnen dürfe. Danach sprach ich sechs Jahre lang nicht mehr mit ihm. 1997 klingelte eines Abends das Telefon. Marco nahm ab, lauschte und reichte mir den Hörer. »Ich glaube, es ist dein Vater«, sagte er. Ich ergriff den Hörer und hörte »A be«, »mein Kind«. Er hatte mir vergeben und wollte mir sagen, daß er stolz auf mich sei, weil ich mich fürsorglich um meine Schwester kümmerte. Ich habe geweint, geweint. Es war einer der schönsten Tage in meinem Leben. Er hatte mich wieder als seine Tochter angenommen.
    Laßt uns nicht im Stich -Gönnt uns einen Voltaire
    Wer seit dem 11. September die Debatten in den Zeitungen, im Fernsehen und in den Kulturzentren verfolgt, wird kaum zu einer anderen Schlußfolgerung kommen können, als daß die Kritik am Islam in den Niederlanden wie in der restlichen westlichen Welt stark zugenommen hat. Immer wieder wird die Frage aufgeworfen, ob der Islam in seiner heutigen Form mit der Demokratie und dem Rechtsstaat, wie wir ihn in den Niederlanden kennen, kompatibel ist. Oder bedarf der Islam etwa
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