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Ich klage an

Titel: Ich klage an
Autoren: Ayaan Hirsi Ali
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einer Sexualmoral im Islam, die sich von den Werten arabischer Stämme aus den Zeiten ableitet, als der Prophet von Allah dessen Botschaften empfangen hat: eine Kultur, in der Frauen Besitz waren, Besitz der Väter, Brüder, Onkel, Großväter, des Vormunds. Das Wesen der Frau ist auf ihr Jungfernhäutchen reduziert. Ihr Schleier erinnert die Außenwelt permanent an die erstickende
    Moral, die muslimische Männer zum Besitzer der Frauen macht und die sie verpflichtet, sexuelle Kontakte ihrer Mütter, Schwestern, Tanten, Schwägerinnen, Nichten und Ehefrauen zu verhindern. Und nicht nur den Geschlechtsverkehr, sondern auch die Blicke auf einen Mann, oder seinen Arm zu streicheln, oder ihm die Hand zu geben. Das Ansehen des Mannes und seine Ehre stehen und fallen mit dem anständigen, gehorsamen Verhalten seiner weiblichen Familienmitglieder.
    Diese drei Elemente erklären zu einem Großteil unsere Rückständigkeit im Vergleich zur westlichen und inzwischen auch zur asiatischen Welt. Um durch die mentalen Gitter dieser Dreiheit zu brechen, hinter welchen die meisten Muslime eingesperrt sind, müssen wir mit einer kritischen Selbstbefragung beginnen. Doch wer als Muslim geboren wurde und kritische Fragen an seinen Islam stellt, wird gleich als »Abtrünniger« abgestempelt. Ein Muslim, der dafür plädiert, neben dem Propheten Mohammed auch andere Quellen der Moral zu nutzen, wird mit dem Tod bedroht. Die Frau, die sich dem Jungfrauenkäfig entzieht, ist eine Hure.
    Durch Lebenserfahrung, umfangreiche Lektüre und zahlreiche Gespräche mit anderen Menschen ist mir klargeworden, daß die Existenz Allahs, der Engel, der Teufel und eines Lebens nach dem Tod zumindest strittig ist. Und wenn Allah existiert, ist sein Wort nicht absolut, sondern durchaus anfällig für Kritik. Als ich einmal über meine Glaubenszweifel schrieb und meinte, auf diese Weise eine Diskussion anzustoßen, standen prompt muslimische Männer und Frauen auf, um mich aus der Gemeinschaft der Gläubigen auszustoßen. Sie gingen noch weiter und sagten, ich verdiene den Tod, weil ich es gewagt hatte, Zweifel zu äußern, ob Allahs Wort denn absolut sei. Sie haben mich vor den Kadi geschleppt, um mir zu verbieten, mich kritisch mit meinem Glauben zu beschäftigen, in den ich hineingeboren wurde, Fragen zu stellen über Gebote und Götter, die uns der Botschafter Allahs aufgezwungen hat. Und Mohammed B., ein fundamentalistischer Muslim, hat Theo van Gogh ermordet, der mich bei der Produktion von Submission Teil I unterstützt hat.
    Ich will mehr Quellen von Wissen, Moral und Phantasie fruchtbar machen als allein den Koran und die Überlieferungen des Propheten. Die Tatsache, daß es keinen islamischen Spinoza, Voltaire, J. S. Mill, Kant und Bertrand Russell gibt, will nicht heißen, daß Muslime die Werke dieser Denker nicht nutzen dürften. Das Lesen von Philosophen des Westens wird heute als Untreue gegenüber dem Propheten Mohammed und der Botschaft Allahs gesehen. Dies ist ein schwerwiegender Irrtum. Warum ist es nicht erlaubt, das Gute, zu dem Mohammed uns angespornt hat (zum Beispiel seine Weisung, barmherzig zu den Armen und Waisen zu sein), zu bewahren und die Quellen unserer Moral um die anderer Philosophen zu ergänzen? Die Tatsache, daß wir keine islamischen Brüder Wright hervorgebracht haben, hindert uns doch auch nicht am Fliegen. Indem wir nur die technischen Errungenschaften des Westens übernehmen und nicht den westlichen Mut zum selbständigen Denken bleibt die geistige Stagnation der islamischen Kultur weiterhin bestehen, und so wird es von Generation zu Generation bleiben.
    Die vielleicht wichtigste Erklärung für den geistigen und materiellen Rückstand, in dem wir Muslime uns befinden, liegt in der Sexualmoral, die wir mit der Muttermilch einsaugen (vergleiche »Der Jungfrauenkäfig« S. 101). Am liebsten möchte ich meine Schicksalsgefährten - diejenigen, die genau wie ich mit dem Islam erzogen wurden - dazu auffordern, zum Beispiel den Aufsatz »Subjection of Women« (Die
    Unterwerfung der Frauen) von J. S. Mill aus dem Jahr 1869 mit der Lehre des Propheten Mohammed über die Rolle der Frau zu vergleichen. Selbstverständlich liegen Welten zwischen Mohammed und Mill, aber unstrittig haben sich beide Männer mit der Rolle der Frau beschäftigt.
    Die kritische Untersuchung der islamischen Dreiheit durch einen Muslim wird als ein grauenhafter Verrat und äußerst schmerzlich erfahren. Diese starken Gefühle beeindrucken
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