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Ich klage an

Titel: Ich klage an
Autoren: Ayaan Hirsi Ali
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Fertigkeiten anzueignen, um sich gegen die Gottesfeinde verteidigen zu können und den Islam in Ehren zu halten. Muslime, die das nicht tun, begehen Al-Qaradawi zufolge eine schwere Sünde. An späterer Stelle schreibt er, alle von Menschen gemachten Gesetze seien unzulänglich und unvollständig, da sich die Gesetzgeber ausschließlich auf materielle Dinge beschränkt und die Forderungen von Religion und Moral vernachlässigt hätten. Im Westen lebende Menschen können sich kaum vorstellen, wie sehr er damit in den Augen seiner westlichen muslimischen Leser den demokratischen Gesetzgebungsprozeß unterminiert.
    Zu Recht beschreibt de Winter die Praxis des Islam als ein Schauspiel, in dem »ganze Batterien von Heiligen, Geistern, Engeln und Teufelchen wichtige Nebenrollen spielen. Der konservative Muslim schließt dadurch nicht aus, daß seine Feinde übernatürliche Kräfte besitzen, mit denen sie Komplotte schmieden, und diesen Kräften ist der durchschnittliche Muslim natürlich nicht gewachsen.« In diesem Zusammenhang zitiert de Winter den israelischen Professor Emmanuel Sivan, der den Fundamentalismus erforscht hat: »Eine Welt, bevölkert von Geistern, von den Seelen der Toten, von Dschinns (unsichtbaren Wesen) bösartiger und freundlicher Art; eine Welt, belagert von der Magie des verführerischen Satans und seiner Dämonen, aus der Gläubige von heiligen Männern und Engeln befreit werden können und, falls nötig, durch Wunder; eine Welt, in der die Kommunikation mit den Toten (vor allem der eigenen Familie) etwas Alltägliches ist und wo man die Anwesenheit des Übernatürlichen als real, fast greifbar, ansieht.«
    Diese Beschreibungen sind mir als Muslima sehr vertraut. Auf der ganzen Welt werden Muslime mit solchen übersinn-liehen Vorstellungen erzogen. Das Jenseits ist in ihrem Alltag immer präsent. Dazu paßt auch die Vorstellung, daß Märtyrertum mit dem Paradies belohnt werde. Vielleicht führt dieser Mangel an nüchternem Verstand im alltäglichen Islam dazu, daß die Ideologie Bin Ladens für so viele Muslime eine übergroße Anziehungskraft besitzt.
    Der irrationale Haß gegen Juden und die Abneigung gegen Ungläubige wird in zahlreichen Koranschulen gelehrt und tagein, tagaus in den Moscheen wiederholt. Und nicht nur das: In Büchern und Artikeln, auf Tonträgern und in den Medien werden Juden konsequent als Urheber alles Bösen dargestellt. Wie tiefgreifend diese Doktrin wirken kann, habe ich an mir selbst erlebt: Als ich zum ersten Mal einen Juden sah, war ich überrascht, daß es ganz offensichtlich ein normaler Mensch aus Fleisch und Blut war.
    De Winter schreibt, daß die heute von zahlreichen Muslimen empfundene Wut - die zu heftigen antiamerikanischen Gefühlen und zu Komplottheorien geführt hat — nicht allein auf die sozioökonomische Rückständigkeit gegenüber westlichen Christen und Juden zurückzuführen sei. »Die Wut kommt auch aus einem irrationalen, konservativen religiösen Erleben, in dem der Satan ein lebendiges Wesen ist.« Ich möchte noch weitergehen als de Winter und betonen, daß das religiöse Erleben nicht nur bei radikalen Muslimen und Fundamentalisten lebendig ist, sondern auch zum Allgemeingut gemäßigter Muslime gehört. Allerdings liegt der Unterschied darin, daß es die Fanatiker nicht beim Haß belassen, sondern auch zu terroristischen Taten bereit sind.
    Wir Muslime lernen, unser Leben auf Erden als eine Investition ins Jenseits zu sehen, indem wir dem Willen und den Gesetzen Gottes gehorchen. Die Werte der Gemeinschaft -Ehre und Unterordnung - zählen weit mehr als die Selbstbe-
    Stimmung des Individuums. Religion ist für das Individuum kein Instrument der Sinngebung, sondern es hat sich der Religion anzupassen und sich Gott aufzuopfern. Dies stimmt mit der buchstäblichen Bedeutung des Wortes Islam überein: Ergebung in den Willen Gottes.
    Viele Menschen, die nach den Glaubensregeln des Islam leben und aufwachsen, sind für Fundamentalismus und Radikalismus empfänglich, neigen aber auch stark zu einer passiven Lebenshaltung und zu Fatalismus. Wer die islamische Lehre im Alltag umsetzen und sich gleichzeitig in die westliche Gesellschaft integrieren möchte, wird es schwer haben. Dem muslimischen Zuwanderer erscheint der Westen als verkehrte Welt.
    Anders als in der islamischen Welt legt man im Westen gerade auf die Selbständigkeit und Eigenverantwortung des Individuums und auf die Notwendigkeit, in das irdische Leben zu investieren, großen Wert.
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