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Ich klage an

Titel: Ich klage an
Autoren: Ayaan Hirsi Ali
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Ausbildung und Beruf sind hier maßgeblich für den Erfolg und nicht die Frömmigkeit des Individuums. In westlichen Gesellschaften gibt es nicht eine einzige Ideologie, sondern es existieren mehrere Ideologien nebeneinander. Hier hält man das Grundgesetz für wichtiger als Gottes Heilige Schriften, und Gott ist nur im Privatleben relevant. Die Beziehungen und der Umgang der Menschen miteinander sind durch Gesetze und Regeln festgelegt, die von Menschen erdacht wurden und nicht auf ewig gelten, sondern durch neue Regeln ersetzt oder ergänzt werden können. Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich, auch Menschen, die anders leben als die Mehrheit. Frauen haben grundsätzlich überall Teilhabe (auch wenn es in der Realität nicht immer so ist), und Homosexualität ist keine Sünde, die mit dem Tod bestraft werden muß; sie ist auch keine Bedrohung für den Fortbestand der Menschheit, son-dem eine Form der Liebe, die genauso normal ist wie die Liebe zwischen Heterosexuellen. Liebe beschränkt sich darüber hinaus nicht allein auf die Ehe, sondern kann von Menschen in gegenseitigem Einvernehmen erlebt werden. Es gibt viele verschiedene Mittel, um Schwangerschaften zu verhindern oder zu planen und sich vor sexuell übertragbaren Krankheiten zu schützen.
    Juden sind keine Monster, die den Muslimen feindlich gesinnt sind, die Krieg mit ihnen führen, die ihre Hoffnungen vernichten und Angst säen wollen, sondern gewöhnliche Menschen, die in Europa eine schreckliche Geschichte - den Holocaust - mitgemacht haben. Gutes wie Böses kommt nicht von Gott, sondern ist das Ergebnis menschlichen Handelns. Die Gesellschaft ist machbar, man kann seine Umgebung mitgestalten. Und das Jenseits tut wenig zur Sache. Jeder kann entscheiden, ob er daran glauben möchte, aber es werden keine Vorbereitungen dafür getroffen. Vieles von dem, was im Islam nicht sein darf, wird in westlichen Gesellschaften geschätzt, und vieles, wozu ein Muslim verpflichtet ist, wird hier als rückständig abgelehnt.
    Wer sich einen Überblick über die muslimischen Reaktionen auf die Anschläge vom 11. September verschafft und wer sieht, wie Muslime auf Kritik am Islam reagieren, merkt, daß es nur sehr wenige gibt, die ihre Religion kritisch sehen. Ausnahmen sind Afshin Ellian in den Niederlanden und Salman Rushdie in England. Statt Selbstkritik bekommen wir eine lange Reihe von Leugnungen oder eine Aufzählung von äußeren Faktoren und Verschwörungstheorien zu hören, die als »wahre Ursache« von allen Problemen in der muslimischen Welt gelten.
    Diese geringe Selbstreflexion wird durch die Haltung vieler westlicher Wissenschaftler und Politiker noch verstärkt. Mit größtmöglicher Behutsamkeit sprechen sie über den Fanatismus als einen Teilaspekt des Islam, der Gewalt mit sich bringe. Oder sie lehnen sich bequem zurück und sagen: »Ach, das ist bei uns früher auch so gewesen; keine Bange, es regelt sich schon von allein mit dem Islam.«
    Aus dem Vorangegangenen wird klar, daß der gegenwärtige Islam nicht mit den Anforderungen des westlichen Rechtsstaats vereinbar ist. Er braucht dringend eine Epoche der Aufklärung. Aber es ist unwahrscheinlich, daß diese Aufklärung sich innerhalb der islamischen Welt entwickeln wird. Schriftsteller, Wissenschaftler, Journalisten, die dort Kritik üben, werden gezwungen, in den Westen zu fliehen. In ihren Heimatländern sind ihre Werke verboten.
    Was ist denn dann vonnöten? Auf internationaler Ebene dürfen Regierungschefs wie Blair und Bush nicht mehr verkünden, der Islam sei von einer terroristischen Minderheit als Geisel genommen worden. Der Islam hat sich selbst zur Geisel genommen. Es wäre hilfreicher, wenn sie Saudi-Ara-bien vorhielten, daß das repressive Regime, der demographische Druck und das einseitig religiös ausgerichtete Bildungssystem Extremisten hervorbringen.
    In Europa und in den Niederlanden kann die einheimische Mehrheit der islamischen Minderheit helfen, indem sie den Ernst des heutigen Zustandes des Islam - den Afshin Ellian als Verfinsterung beschreibt - nicht bagatellisiert, sondern an den Pranger stellt. Hiesigen Muslimen ist auch mit den Fragen, die seit dem ll. September dem Islam gestellt werden, und der Kritik an ihm geholfen. Daß an die Integration von Minderheiten (inzwischen) höhere Anforderungen gestellt werden, ist eine positive Entwicklung, obwohl nicht jeder das einsehen wird. Indem man hierzulande Dissidenten ein Podium zur Verfügung stellt, kann ein Gegengewicht zu
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