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Ich klage an

Titel: Ich klage an
Autoren: Ayaan Hirsi Ali
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abwesend war. Er hatte uns in die Welt gesetzt, übernahm dafür aber keine Verantwortung. Wir fanden sein politisches Engagement zwar prima, waren auch ziemlich stolz darauf, wollten aber auch einen richtigen Vater haben. Er hielt diese Kritik für unter unserer Würde. Für triviales Gequengel. Wir sollten einsehen, daß er einem Ruf folge, dem wir erhobenen Hauptes Opfer bringen müßten. Gott habe ihm die Ehre geschenkt, diese Position bekleiden zu dürfen.
    Als ich geboren wurde, saß mein Vater im Gefängnis. Ich war sechs, als ich ihn zum ersten Mal sah. Trotz seiner Abwesenheit spürten wir Kinder die Spannung, die seine politische Arbeit mit sich brachte. Ich nenne diese Jahre in Somalia immer die »Flüsterperiode«. Leise, leise, man kann nämlich niemandem trauen. Ich erinnere mich noch an das Wummern an der Tür, meine Oma, die öffnet und umgestoßen wird, die verbale Gewalt, die Durchsuchungen unseres Hauses. Das kann ein Kind nicht verstehen.
    Als ich sechs Jahre alt war, folgten wir meinem - mittlerweile geflüchteten - Vater nach Saudi-Arabien. Keiner von uns war dort glücklich, außer meiner Mutter, die in dem streng religiösen Klima aufblühte. Allerdings pflegte sie die Saudis mit Ziegen und Schafen zu vergleichen, weil sie sie für genauso dumm hielt. Wir mußten in grünen Kleidern mit langen Ärmeln und einem fest um den Kopf gewundenen Tuch zur Schule gehen. Von der Hitze bekamen wir Blasen auf dem Rücken. Wir durften nicht im Freien spielen. Nach einem Jahr zogen wir nach Äthiopien, wo ein Großteil der somalischen Opposition lebte, und weitere anderthalb Jahre später nach Kenia.
    Mein Vater hat mit vier Frauen fünf Töchter und einen Sohn gezeugt. Meine Mutter ist seine zweite Frau. Er lernte sie zu der Zeit kennen, als seine erste Frau, Maryan, in Amerika war. Er hatte sie zum Studium in die Vereinigten Staaten geschickt. Sie tat sich sehr schwer, doch mein Vater wollte, daß sie blieb, bis sie ihre Prüfungen bestanden hatte. Mittler-weile hatten die Alphabetisierungskampagnen begonnen, die er zusammen mit anderen ins Leben gerufen hatte. Auch er selbst unterrichtete; meine Mutter war eine seiner Schülerinnen. Er fand sie intelligent und ehrgeizig und heiratete sie. Innerhalb kurzer Zeit bekamen sie drei Kinder. Eines Tages stand Maryan vor der Tür. Zurückgekehrt aus Amerika. Sie wußte nichts von seiner zweiten Ehe und war außer sich vor Zorn. Sie verlangte von ihm, daß er sich entscheiden solle. Mein Vater entschied sich für meine Mutter und ließ sich von Maryan scheiden.
    1980 zog er nach Äthiopien. Nach einem Jahr kam er uns besuchen. Meine Mutter sagte: »Wenn du jetzt wieder weggehst, brauchst du nie mehr zurückzukommen. Dann bin ich nicht mehr deine Frau.« Er ging und kam zehn Jahre später wieder zurück. Meine Mutter hat ihn noch nicht einmal begrüßt. Diese Haltung hat sie bis heute beibehalten. Später hat er noch eine Äthiopierin und eine Somalierin geheiratet. Ich weiß nicht, wo die beiden geblieben sind. Und mittlerweile ist er mit Maryan, seiner ersten Frau, zum zweiten Mal verheiratet. Sie leben nun gemeinsam in London.
    Außer einem älteren Bruder hatte ich noch eine zwei Jahre jüngere Schwester, die ich sehr bewunderte. Sie war aufsässig. Machte, was sie wollte. Es war ihr egal, daß sie deswegen geschlagen wurde. Ich war ängstlicher und braver, paßte mich an. Sie nie. In der Pubertät wollte sie Miniröcke tragen. Das galt schlichtweg als unanständig. Meine Mutter zerriß diese Röcke, doch jedesmal kaufte sich meine Schwester wieder einen neuen. In der zweiten Klasse der Oberschule schmiß sie alles hin. Alle waren verärgert, aber das war ihr egal. Auf eigene Initiative absolvierte sie daraufhin eine Ausbildung zur Sekretärin, die sie mit Glanz und Gloria bestand. Anschließend fand sie eine Anstellung bei den Vereinten Natio-nen. Meine Mutter verbot ihr zu arbeiten, aber meine Schwester tat es trotzdem, ungeachtet der verbalen und physischen Mißhandlungen.
    Sie war eine starke Frau. Sie nötigte ihrer Umgebung Bewunderung und Respekt ab, überall, nur nicht zu Hause. Als auch ihr eine Zwangsheirat drohte, folgte sie mir in die Niederlande. Sie kam im Januar 1994 hier an; bereits anderthalb }ahre später war ihr Niederländisch so gut, daß sie die Universität besuchen konnte. Zu dieser Zeit setzten die Weinkrämpfe ein; sie verhielt sich immer sonderbarer. Die Nähe anderer Personen war für sie schwer zu ertragen, aber sie konnte auch
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