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Ich klage an

Titel: Ich klage an
Autoren: Ayaan Hirsi Ali
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Außenstehende und auch mich, vor allem, wenn sie massenhaft geäußert werden. Ich kann mich in die von Muslimen empfundene Verpflichtung hineinversetzen, auf diejenigen böse zu werden, die das absolute Wort Gottes relativieren oder andere moralische Quellen als gleichwertig oder sogar höherwertig veranschlagen als die des Propheten Mohammed. Dabei habe ich aus der Geschichte gelernt, daß eine mentale Kehrtwendung dieser Größenordnung nicht nur ein langwieriger Prozeß ist, sondern auch mit Widerstand und sogar mit Blutvergießen einhergeht. Den Mord an Theo van Gogh, die Todesdrohungen mir gegenüber, die gerichtlichen Schritte, die gegen mich unternommen wurden, und die intensive Ablehnung meiner Person sehe ich in diesem Kontext. Ein kurzer Blick in die Geschichte des Islam zeigt, daß nahezu sämtliche Kritiker aus den eigenen Reihen ermordet oder verbannt wurden. Ich befinde mich in guter Gesellschaft: Salman Rushdie, Irshad Manji, Taslima Nasreen, Mohammed Abu-Zeid, sie alle werden von Glaubensgenossen bedroht und von Nichtmuslimen geschützt.
    Dennoch müssen wir die Kraft aufbringen, diese emotionale Mauer zu durchbrechen oder darüberzusteigen, bis die Menge der Kritiker so groß geworden ist, daß sie ein bedeutendes Gegengewicht bilden können. Dazu brauchen wir die Hilfe des liberalen Westens, der an einer Reform des Islam das größte Interesse hat, aber vor allem müssen wir uns gegenseitig helfen.
    In bezug auf diese Reform bin ich übrigens optimistisch. Und zwar aufgrund von Signalen wie den Gemeinderatswahlen in Saudi-Arabien, denn auch wenn Frauen von diesen Wahlen ausgeschlossen waren, es gab überhaupt Wahlen; wie den erfolgreich verlaufenen Wahlen im Irak und in Afghanistan, die nach den Taliban eine weltliche Regierung bekamen; wie der Demonstration von Journalisten und Wissenschaftlern in Marokko gegen den Terror der Islamischen Partei und wie den vielversprechenden Vereinbarungen zwischen Scharon und Abbas über die Zukunft Israels und Palästinas. Wobei ich durchaus einsehe, daß diese Entwicklungen noch ziemlich neu sind.
    Diejenigen, die sich im Westen schon immer dem Zwang von Glauben und Gewohnheiten widersetzt haben, die weltlichen Liberalen (in manchen Ländern als »links« bezeichnet), haben bei mir und anderen liberalen Muslimen das kritische Denken angestoßen. Aber die Linken haben im Westen eine merkwürdige Neigung, sich selbst die Schuld zu geben und den Rest der Welt als Opfer zu betrachten, beispielsweise die Muslime. Und Opfer sind bedauernswert, und alle bedauernswerten und unterdrückten Menschen sind per Definition gute Menschen, die wir an unser Herz drücken müssen. Die linke Kritik beschränkt sich auf den Westen. Sie kritisiert die Vereinigten Staaten und nicht die islamische Welt, wie sie früher auch die Gulags nicht kritisiert hat. Denn die Vereinigten Staaten sind identisch mit dem Westen, und die islamische Welt ist nicht genauso mächtig wie der Westen. Die Linken kritisieren Israel, aber nicht die Palästinenser, weil Israel zum Westen gerechnet wird und die Palästinenser als bedauernswert empfunden werden. Sie kritisieren die einheimische
    Mehrheit in den westlichen Ländern, aber nicht die islamischen Minderheiten. Kritik an der islamischen Welt, den Palästinensern und den islamischen Minderheiten wird als islamfeindlich und fremdenfeindlich gesehen. Diese Kulturre-lativisten sehen jedoch nicht, daß sie, indem sie nichtwestliche Kulturen skrupulös von ihrer Kritik ausnehmen, die Träger dieser Kulturen in ihrer Rückständigkeit einzementieren. Dies geschieht mit den besten Absichten, aber wie bekannt ist der Weg zur Hölle mit guten Absichten gepflastert. Es handelt sich um Rassismus in Reinform.
    Meine Kritik an der islamischen Religion und Kultur wird gelegentlich als »hart«, »beleidigend« und »verletzend« erfahren. Aber die Haltung der oben angeführten Kulturrelativi-sten ist in Wirklichkeit viel härter, beleidigender und verletzender. Eigentlich fühlen sie sich überlegen und betrachten Muslime nicht als ebenbürtige Gesprächspartner, sondern als die »anderen«, die geschont werden müssen. Und sie sind der Ansicht, Kritik am Islam müsse vermieden werden, weil sie befürchten, daß Muslime wegen der Kritik böse und dann gewalttätig werden könnten. Sofern die Kulturrelativisten wirklich liberal sind, lassen sie uns Muslime, die dem Aufruf, unseren Bürgersinn zu beweisen, Gehör geschenkt haben, völlig im Stich.
    Ich bin ein
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