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Ich kenne dein Geheimnis

Titel: Ich kenne dein Geheimnis
Autoren: Aufbau
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Baumwollhemd, dessen weite Ärmel kunstvoll bestickt und mit Goldposamenten geschmückt waren, die Manschetten waren mit Spitze
     verziert. Er wirkte wie ein Schauspieler aus einem Theaterstück des 18. Jahrhunderts .
    Chiara musterte ihn genauer. Obwohl sein Gesicht von einer dicken Schicht Puder bedeckt war und die Lippen unnatürlich rot
     leuchteten, ging eine besondere Faszination von ihm aus. Der stechende Blick, das zu einem Pferdeschwanz gebundene pechschwarze
     Haar, die in das fahle Gesicht fallenden rebellischen Locken verliehen ihm ein düsteres Aussehen. Angst jedoch hatte Chiara
     nicht.
    »Wer bist du?«, presste sie schließlich heraus.
    Ohne den Blick abzuwenden, neigte der Mann kaum merklich den Kopf, antwortete aber nicht.
    »Wer bist du?« Chiara wiederholte ihre Frage, denn der Mann schien sie nicht zu verstehen. Das Wasser war inzwischen kalt
     geworden, und sie zitterte. Zum Glück konnte sie sich wieder bewegen und legte ihre Hände schützend über Brüste und Scham,
     stieg vorsichtig aus der Wanne und schlüpfte in den blauen Bademantel, der an der Tür hing. Den Blick des Fremden versuchte
     sie zu ignorieren. »Außerdem bist du nicht wirklich da« , dachte sie. Und tatsächlich: Als sie sich dem Mann näherte, bemerkte sie, dass er nicht aus Fleisch und Blut war, wie sie
     von weitem gedacht hatte. Er schien vielmehr eine Art Hologramm zu sein, die Verbindung unzähliger Lichtpunkte, das dreidimensionale
     Abbild einer Person, von der ein Energiefeld ausging. Chiara streckte ihre Hand aus, doch der Mann zuckte erschrocken zurück.
     Sie versuchte es noch einmal, und dieses Mal ließ er es zu.
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Sie griff nach ihm, dabei hatte sie das Gefühl, als würde sie seinen Körper wie mit einer Schwertklinge durchbohren. Chiara
     schrie entsetzt auf, und der Mann verschwand durch die geschlossene Badezimmertür.
    »Warte!« Chiara hastete hinter ihm her, öffnete die Tür und stand in einem hohen Raum, spärlich beleuchtet durch dreckverkrustete
     Lampen, deren Öl die kahlen Wände geschwärzt hatte.
    Sie blickte an die Decke, in deren Mitte sich ein Lichtschacht befand. Der Mann in der altertümlichen Kleidung war ihr einige
     Schritte voraus und deutete auf ein Himmelbett, das vom einfallenden kalten Tageslicht erhellt wurde. Auf dem Bett lag eine
     Frau, die Arme vor der Brust verschränkt, das Gesicht hinter einem grauen Schleier verborgen. Chiara ging näher. Aus der Ferne
     waren Geräusche zu hören, Lachen und Schluchzen, wie Kinderstimmen, die der Wind herüberwehte. Verängstigt schaute sie wieder
     zu dem Mann hinüber. Mit einer würdevollen Geste forderte er sie auf, näher ans Bett zu treten. Der Körper der Frau war mit
     einer Schicht grauen Staubes bedeckt, auch das Kleid, das sie trug, war grau. Der Staub der Jahrhunderte. Erst jetzt fiel
     Chiara auf, dass auch der Mann mit Staub bedeckt war. Bevor sie einen Schritt nach vorne machen konnte, hatte er den Schleier
     vom Gesicht der Frau gezogen. Chiara wich entsetzt zurück und schrie. Es folgte eine bedrohliche Stille. Im Gesicht der Frau
     erinnerte nichts an einen Menschen, sie hatte einen Wildschweinkopf mit eiskalten Augen und bluttriefendem Raubtiergebiss.
     Wie ein Werwolf. Chiara eilte zur Tür, doch bevor sie die Hand nach der Klinke ausstrecken konnte, spürte sie, dass sie mit
     Macht nach hinten gezogen wurde. Als sie sich umdrehte, sah sie viele kleine Hände, die sich an ihren Bademantel krallten.
     Kinderhände .
     
    »Chiara! Chiara! Hörst du mich?« Eine ihr wohlbekannte Stimme drang von unten an ihr Ohr. Das ist unmöglich, |30| dachte sie und versuchte die Knie anzuwinkeln. Das Wasser in der Badewanne war inzwischen eiskalt. Sie musste, sie wollte
     hier raus, doch ihr Körper gehorchte ihr nicht.
    »Chiara, sag doch was! Bist du dran?«
    Paolo? Mit einer schier übermenschlichen Kraftanstrengung öffnete Chiara die Augen und stemmte sich mit den Händen am Wannenrand
     hoch. Auf dem Fußboden erkannte sie ihr Handy. Von dort kam auch die Stimme. Vorsichtig, um ja nicht auszurutschen, stieg
     sie aus der Wanne und bückte sich nach dem Telefon.
    » Pronto
, Paolo, mein Schatz?« Sie sank auf den flauschigen Badvorleger und genoss die kuschelige Wärme.
    »Ich bin nicht dein Schatz, sondern sein Vater!«
    »Venzy?«
    »Ja. Alles klar, Chiara? Erst hast du abgenommen und danach kam gar nichts mehr … Ich habe mir Sorgen gemacht, weil ich dachte,
     dir wäre etwas passiert.«
    »Wirklich?«
    »Bist du
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