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Ich kenne dein Geheimnis

Titel: Ich kenne dein Geheimnis
Autoren: Aufbau
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bereit«, befahl er, während der Gondoliere ihm die Hand reichte, um ihm beim Aussteigen
     zu helfen. Er schritt auf den Palazzo zu, seine treuen Diener Franzin und Balà folgten in respektvollem Abstand. Vor dem imposanten
     Portal schlossen sie auf, um ihren Herren schützend zu flankieren. »Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren.« Der Baron
     erinnerte sich an diese Worte von Fürst Napier, die Dantes »Inferno« entlehnt waren. Altemburg zögerte und atmete tief durch,
     so eng war ihm ums Herz geworden. Trotz der Kälte standen ihm kleine Schweißperlen auf der Stirn. Das erregte Stimmengewirr
     und das laute Gelächter, das vom Palazzo nach draußen drang, trafen ihn wie ein Peitschenhieb.
    So ging es ihm jedes Mal, wenn er vor dem Palazzo Barbarigo Moretti stand. Wie viele andere venezianische Edelmänner, die
     sich jeden Freitagabend in den eleganten Salons trafen, hatte sich auch von Altemburg vom Spielfieber anstecken lassen. Es
     war wie ein Zwang. Auch an diesem Abend das übliche Bild: glückstrunkene Gewinner und untröstliche Verlierer. Die einen würden
     mit Wein, Weibern und Gesang eine rauschhafte Nacht verbringen, ehe sie in die Arme ihrer Frau zurückkehrten, manch anderer
     würde sich aus Verzweiflung das Leben nehmen.
    Es war, als überschritte man die Schwelle zu einer anderen |37| Welt, einer Welt ohne Grenzen, wo selbst der eingefleischteste Puritaner jeden Sinn für Anstand und Moral verlor. Das Spielfieber
     hatte in Venedig wie ein Flächenbrand um sich gegriffen. Bei diesem neuen Kartenspiel gab es nur zwei Möglichkeiten: alles
     oder nichts. Auf einen Schlag konnte man das von Generationen durch harte Arbeit erworbene Vermögen verlieren. Doch gerade
     diese Herausforderung berauschte tausendmal mehr als der süffige Wein, der in diesen Nächten in Strömen floss. In diesen Nächten
     glich der Palazzo einem Tollhaus, die aufgestauten Gefühle entluden sich in hemmungslosen Exzessen mit willfährigen Damen
     hinter mit chinesischen Mustern verzierten Paravents oder in verborgenen Nischen.
    Nachdem er sich die weiße Maske vors Gesicht gezogen hatte, stieg Baron von Altemburg die Treppe zum Salon hinauf. Dabei erregte
     der lustvolle Schrei einer Frau, gefolgt vom gutturalen Lachen eines Mannes, seine Aufmerksamkeit. Hinter einer spanischen
     Wand vergnügte sich ein Edelmann mit seiner Gespielin. In dem Durcheinander von Unterröcken und heruntergelassenen Hosen war
     schwer auszumachen, wer Männlein und wer Weiblein war. Unter anderen Umständen hätte der Anblick von Altemburg erregt, doch
     in dieser Nacht hatte er anderes im Sinn.
    Der Salon erstrahlte im Licht unzähliger Kerzen. Auf Verlangen brachten die livrierten Diener weitere Leuchter, um die Spieltische
     noch besser zu erhellen. Die von rauschhafter Erregung verzerrten Gesichter der Spieler wirkten im flackernden Kerzenlicht
     geradezu grotesk. Die Frauen trugen einen Luxus zur Schau, der am Tage vulgär gewirkt hätte. Ihre durch enggeschnürte Mieder
     hochgedrückten, gepuderten Brüste wurden durch die tiefen Dekolletés ihrer rüschen- und schleifengeschmückten Kleider mehr
     entblößt als verhüllt. Die kostbaren Stoffe glänzten in den Farben, die gerade Mode |38| waren: vom Azurblau des Frühlingshimmels, über zartes Wiesengrün bis zu leuchtendem Rosa. Männer wie Frauen trugen die Augen
     rußgeschwärzt und die Wangen grellrot geschminkt auf kalkweißen Gesichtern, was ihnen, zusammen mit den gepuderten Perücken
     und hochaufgetürmten Frisuren, ein künstliches, ja fast gespenstisches Aussehen verlieh. Schweiß und geschmolzenes Kerzenwachs
     verbanden sich zu einer übelriechenden Mixtur, gegen die selbst die mit französischem Parfüm getränkten Taschentücher der
     Spieler nichts ausrichten konnten. Im Gegenteil, der Gestank wurde dadurch noch unerträglicher.
    »Heutzutage besteht die einzig mögliche Form der Demokratie in der Tatsache, dass wir alle stinken«, dachte von Altemburg,
     als er ein besonders übelriechendes Pärchen passierte und auf einen Tisch zuging, an dem absolute Stille herrschte. Die Spieler
     waren in eine Partie Whist vertieft, ein erst vor kurzem aus England importiertes Kartenspiel, bei dem das Sprechen verboten
     war. Neugierige Zuschauer rund um den Tisch kommentierten den Spielverlauf mit Aufseufzen und kaum unterdrücktem Stöhnen.
     Eine Spielerin erkannte von Altemburg sofort: Gräfin Florinda Pisani. Auch ihre beiden Begleiter waren ihm nicht fremd:
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