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Ich kann nicht, wenn die Katze zuschaut

Ich kann nicht, wenn die Katze zuschaut

Titel: Ich kann nicht, wenn die Katze zuschaut
Autoren: Stefan Schwarz
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so mulmig zumute wie dem Boden in meinem Aquarium. Fragmentarische Handicaps wie die erst mal harmlos wirkende Teilschüchternheit sind nicht witzig, wenn man so wie wir ein herausforderndes Leben zu absolvieren hat. So können sich afghanische Warlords, die einem gerade aufs Lösegeldversprechen die knorrige Pranke zum Einschlag hinhalten, nochmal in Richtung Vierteilung umentscheiden, wenn die Frau ihr Händchen trotzig hinterm Rücken verbirgt. Aber ich hätte es wissen können.
    Skurrile Teilschüchternheiten sind in der Familie meiner Frau an der Tagesordnung. Tante Ruth zum Beispiel hält aus dem Kopf Vorlesungen vor Hunderten Studenten, möchte aber bei Familienfesten nicht fotografiert werden. Sobald jemand einen Fotoapparat oder ein Fotohandy zückt, schreit Tante Ruth sofort: «Ich möchte bitte nicht aufs Bild!» Als Grund führt Tante Ruth an, dass sie auf Fotos immer so furchtbar aussieht. Das stimmt zwar, aber es ist auch ihre eigene Schuld. Denn meistens versucht Tante Ruth, im letzten Augenblick aus dem Bild zu flüchten. Auf den Bildern gucken dann immer alle fröhlich in die Kamera, während am Rand noch ein halbes,unscharfes Frauengesicht mit drei viertel geschlossenen Lidern und offenstehendem Mund mit drauf ist. Dadurch sieht sie leider nie aus wie die preisgekrönte Naturwissenschaftlerin, die sie ist, sondern eher wie etwas, womit preisgekrönte Naturwissenschaftlerinnen ihre preisgekrönten Experimente machen. Niemand konnte es ihr bislang ausreden.
    Vielleicht ist sie ja auch gar nicht Tante Ruth, sondern «M», die berühmte unbekannte Chefin des Geheimdienstes Ihrer Majestät, die zur Tarnung Onkel Dieter geheiratet hat und jetzt in einer Dreieinhalbzimmerwohnung in Berlin-Marzahn lebt. Da findet sie natürlich nicht mal der Mossad, denn Aufträge wie «Checken Sie die Wohnkomplexe II–VI in Berlin-Marzahn! Ihr Dienstfahrzeug ist die Straßenbahn!» werden im Agentenmilieu mit spontanen Selbstverstümmelungen und massenhaften Überläufen zum nächstbesten Geheimdienst beantwortet. Jedenfalls würde die Tatsache, dass Tante Ruth in Wirklichkeit «M» ist, am besten erklären, warum sie nicht fotografiert werden will.
    Die andere Erklärung ist, dass sie sich in den vergangenen 53   Jahren ihres Lebens noch nicht dran gewöhnt hat, wie sie wirklich aussieht. Das ist ein schmerzhafter Prozess, den jeder zivilisierte Mensch mal durchmachen muss. Viele von uns sind ja innen drin immer noch 18   Jahre oder gertenschlank oder dünken sich mit sonst was für filmreifen Eigenschaften ausgestattet.
    Ich zum Beispiel hörte mich lange Zeit meiner Jugend mit einer sonoren Robert-De-Niro-Stimme sprechen, was aber eine perfide Innenohr-Täuschung war. Ich weiß nicht mehr, wie viele Mädchen ich mit dem Bewusstsein angesprochen habe, eine unwiderstehliche Stimme zu haben. Wenn ich gewusst hätte, dass ich tatsächlichin etwa so nasal klinge wie Bob Dylan in einem Helium-Ballon, hätte ich mir etliche Bagger-Sprüche an Discothekentheken vermutlich verkniffen. So aber drehte ich mich vor zwanzig Jahren lässig zu einer wallehaarigen Brünetten ein, der gerade die Freundin weggetanzt worden war, und sprach, meines Näselns unbewusst: «Du fragst dich bestimmt, ob heute noch was läuft, und soll ich dir was sagen? Die Antwort steht vor dir!» Die Schöne sah mich einmal von unten nach oben an und sagte dann: «Hätte nicht gedacht, dass die Antwort so kurz ausfällt.»
    Ich unterdrückte den Reflex, heulend wegzurennen, und erkundigte mich nach ihren Trinkwünschen. «Schüchtern bist du aber nicht gerade», meinte die Brünette und warf zur Ermunterung ihr Wallehaar über die starke Schulter. «Bei uns ist niemand schüchtern», erklärte ich. «Wahrscheinlich sind meine schüchternen Vorfahren mal alle von den Schweden im Dreißigjährigen Krieg niedergebrannt worden, als sie sich trotz mehrmaliger Ermahnung vor Schüchternheit nicht aus der Hütte trauten.»

Kampf ums Puscheldiadem
    Goethe hatte Übergewicht. Er war sogar fett. Na und? Ich sollte das alles relaxter angehen. Aber so saß ich brav im Fitnesscenter hinter der Rudermaschine, um meinen Latissimus zu verbreitern, als eine schlafäugige Brünette mit unglaublich gepflegten Fingernägeln schräg vor mir in der Abduktorenpresse Platz nahm, um ihre Reithosen etwas einzubügeln.
    Ich frage mich manchmal, ob Fitnessraumplaner alle beisammenhaben. Wie auch immer: Ich zog an, sie grätschte. Das Gewicht in der Rudermaschine knallte nach oben, als
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