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Ich kann nicht, wenn die Katze zuschaut

Ich kann nicht, wenn die Katze zuschaut

Titel: Ich kann nicht, wenn die Katze zuschaut
Autoren: Stefan Schwarz
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schüchtern ist, wäre mir nicht im Traum eingefallen. Immerhin ist sie Journalistin und rennt ständig mit dem Mikrophon irgendwelchen Politikern hinterher, um sie zu fragen, ob sie zurücktreten. Danach stellt sie sich frontal vor die Kamera und sagt mit Eisesstimme, dass jetzt sogar schon Kollegen aus der Fraktion den Rücktritt des Politikers nicht mehrausschließen wollen. Meistens tritt der Politiker dann am nächsten Tag zurück, und sei es auch nur, weil meine Frau mal 10 0-Meter -Hürden-Landesmeisterin war und ihn auch noch lässig nach seinen Rücktrittsabsichten befragen könnte, wenn er mit einem Motorrad im Kavaliersstart aus der Villen-Einfahrt seiner Geliebten oder eines Mafiabosses oder eines geliebten Mafiabosses geschossen käme.
    Aber dann war eines Tages – ich wollte gerade in einer unbezähmbaren Aufwallung sudetendeutscher Abstammungsgefühle Pflaumenknödel machen – das Mehl alle, und ich stand mit triefenden Teighänden in der Küche. Ich sagte meiner Frau, dass sie sich mal bei Nachbars was borgen solle. Meine Frau aber wollte nicht. Sie sagte, dass sie hier gerade so schön sitze und sich mit mir unterhalte, und deswegen solle ich mal gehen. Nachdem ich bei der Nachbarin Sturm geklingelt hatte, weil ich wegen der teigigen Hände nur die Stirn gehabt hatte, den Knopf auf Nimmerwiedersehen ins Klingelbrett zu drücken, und mit der Mehldose in den Zähnen zurückgekehrt war, fiel mir auf, dass die Begründung meiner Frau nicht allen Anforderungen an einen guten Grund in einer freien Gesellschaft genügte. Schließlich konnte sie sich kaum mit ihrem Mann unterhalten, wenn er fort war. (Obschon alte Frauen auf dem Friedhof damit kein Problem zu haben scheinen.) War meine Frau faul? Kaum glaubhaft, denn meine Frau «entspannt» gerne bei körperlich ruinösen Tätigkeiten wie Deckenstuckabwaschen oder Dielenschleifen. (Außerdem: Wenn meine Frau faul ist, was bin ich dann?) Es musste also noch einen tiefer liegenden Grund geben. Ich knetete eine Weile skeptisch meine Knödel und entschied mich dann aber, den wirklichen Grund nicht weiter ergründen zu wollen. Partnerschaften profitieren ja doch voneinem gewissen Nichtwissenwollen. Bei genügend Ignoranz geht man jeden Abend mit einer Fremden ins Bett. Da kann man nicht meckern. Aber auch bloße Freundschaften gedeihen unausgeforscht besser. Einmal habe ich eine Freundin meiner Frau auf offener Straße einen Mann küssen sehen, der groß und schwarzhaarig und also nicht der ihre, kleine, dicke, blonde war. Und wir sprechen hier nicht von so einem Küsschen mit spitzen Lippen, sondern von volle Pulle Knutschen, also etwas, das so aussieht, als wolle man sich gegenseitig aufessen. Ich wollte erst hingehen und was sagen, aber da die Freundin meiner Frau ein bisschen hochbegabt und von einschüchternder Geistesgegenwart ist, wäre es durchaus möglich gewesen, dass sie behauptet hätte, dies sei doch ihr Mann. Ich wäre dann nach einigen Wortgefechten von beherzten Sanitätern ins Irrenhaus gebracht worden. Niemandem wäre geholfen gewesen, aber ich hätte ab dann vor jeder Mahlzeit kleine rosa Tabletten nehmen müssen. Vielleicht war es ja wirklich nur ein Kollege, und das wilde Knutschen gehörte irgendwie zur Corporate Identity.
    Eines weiteren Tages aber verfuhr ich mich mit meiner Familie in einer fremden Stadt. «Frag doch jetzt endlich mal jemanden von den Eingeborenen, wo diese bescheuerte Max-Plankton-Straße ist!», herrschte ich meine Frau mit aller noch verfügbaren Liebenswürdigkeit an, doch meine Frau sagte, ich hätte es doch wahrscheinlich gleich gefunden und es lohne nicht, jetzt noch Leute zu belästigen. Da wir schon eine Weile im Kreisverkehr herumtrudelten, blieb mir nichts übrig, als den Sohn auf der Rückbank hinzuzuziehen, der, ganz Spross meiner Lenden, sofort eine Oma herankommandierte, alle relevanten Auskünfte aus ihr heraussaugte und sie obendrein noch unaufgefordertmit allerlei schwer einsortierbaren Kurznachrichten über die schlimmen Klassenstrolche Paddrick und Friedrich-Wilhelm sowie den Liebreiz der Pubi-Granate Charlene zuschüttete.
    «Aber irgendein Kontaktding hast du doch», drang ich hernach in meine Frau, die zufrieden auf dem Beifahrersitz lümmelte. «Ich bin teilschüchtern!», gestand sie endlich. Beruflicherseits lehnte sie es ab, sich von ihrer Schüchternheit einschüchtern zu lassen, aber in der Freizeit gab sie sich ihrer Schüchternheit hin, wie andere sich ein Bad einlassen. Mir wurde in etwa
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