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Ich kann nicht, wenn die Katze zuschaut

Ich kann nicht, wenn die Katze zuschaut

Titel: Ich kann nicht, wenn die Katze zuschaut
Autoren: Stefan Schwarz
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angefangen, seinen Freundeskreis beachtlich zu erweitern und funktionell zu justieren. Statt mit mir Federball zu spielen, sah man ihn öfter mit den Jungs von der Muckibude im Freihantelgehege herumhängen. Er hatte sogar jemanden aufgetan, der beim Treppenlauf im Empire State Building unter die vorderen 3000 gekommen war. Und vermutlich deswegen hatte er beim Skatspielen eine Karte hinter die eisenbeschlagene Truhe fallen lassen, die wir dann gemeinsam anheben und ins Nebenzimmer tragen mussten. Probeweise. Nicht mehr lang, und er würde mich beiläufig fragen, ob ich am Wochenende «mal kurz mit anfassen» könne, woraus dann dreiundzwanzig Touren mit einem geborgten Kombi werden würden – nebst gefüllter Waschmaschine, Klavier, einem gusseisernen Schreibtisch von Uropa, Kleiderschränken, einem unauseinanderbaubaren Doppelbett und Hunderten Minikisten mit staubigen Andenken und alten Zahlungsbelegen vom Dachgeschoss ins Eigenheim.
    «Er ist dein Freund», grinste meine Frau. «Möbelpack schlägt sich, Möbelpack verträgt sich», antwortete ich, während hinter meiner finsteren Stirn ein Plan reifte. So war Gevatter Dinkelkeks äußerst überrascht, als ich ihm beim nächsten Kaffeetrinken wegen unüberbrückbarer Differenzen in der Frage der Verwendung von Zuckeraustauschstoffen in Kindersäften die Freundschaft kündigte und nicht mehr ansprechbar im Arbeitszimmer verschwand. Wenn sie umgezogen sind, rufe ich mal an und entschuldige mich. Wieder Freunde? Na klar.

Parole Passwort
    Es sah aus wie eine Installation. Der Mann stand am E C-Automaten vornübergebeugt und hielt die linke Hand vorschriftsgemäß blickschützend vor die Tastatur. Aber er tat nichts. Und das schon eine Weile. Außenstehende hätten denken können, dass der Mann ein reumütiger Schulversager war, der sich endlich mal die Grundzahlen von 0   –   9 einprägen wollte. Aber ich war kein Außenstehender, denn der Mann war ich. Ich hatte meine PIN vergessen. Mitten auf dem Weg über die Eselsbrücke war es passiert. Eigentlich war ja nur die Quersumme aus dem Geburtsdatum von Papst Johannes   XXIII. von der Postleitzahl Schwäbisch Gmünds abzuziehen und dann durch die Taillengröße meiner Tante zu dividieren, und am Ende war noch irgendwo eine Zwei oder so was Ähnliches einzusetzen – und das war’s schon, aber diesmal schwiegen die Synapsen.
    Ich überlegte, ob diese Notsituation nicht die vorübergehende Aufhebung des Folterverbots rechtfertigen würde. So könnte der Wachschutzmann des Einkaufscenters vor Gericht ganz gelassen angeben: «Der Kunde hatte seine Geheimnummer vergessen. Er bat uns, ihn so lange zu foltern, bis er den Code wieder rausrückt. Wenn man bedenkt, dass die vergessene PIN auf Schläge und Tritte überhaupt nicht reagierte und dass die improvisierte Streckbank zu rein gar nichts führte und erst der von den Kollegen Wiedemann und Ehlers selbstgebraute Schwedische Trunk die Geheimzahl wieder zum Vorschein brachte, dannkann man wohl sagen, dass der Kunde von allein nicht wieder drauf gekommen wäre!»
    Das Passwortunwesen muss ein Ende haben. Schon heute schleppt jede Oma vom Lande einen kryptologischen Apparat von lauter noch vor dem Lesen zu verbrennenden Geheimcodes und stochastisch anspruchsvollen Hexadezimalschlüsseln mit sich herum, gegen den die Verschlüsselungsabteilung des rumänischen Geheimdienstes wie eine Gurkentruppe von Abc-Monstern aus der Sesamstraße ausschaut.
    Bei einem noch moderneren Menschen wie mir nimmt der Schutz der Privatsphäre mittlerweile so viel Zeit und Kraft in Anspruch, dass für die Privatsphäre selbst keine mehr übrig bleibt. Überhaupt sind die ganzen Ratschläge, Geheimnummern für Dritte unauffindbar an sicheren Orten aufzubewahren, nur als zynisch zu bewerten. Es gibt in einer Wohnung mit zwei nicht vorgeschädigten Kindern absolut keine sicheren Orte, sondern nur sichere Zeiten, nämlich, wenn die Kinder außer Haus sind. Außerdem macht man sich durch den Schutz der Privatsphäre beim eigenen Weib nur verdächtig. Die Bundesregierung mag ja einen gewissen Datenschutz beim Individuum zähneknirschend ertragen, Ehefrauen hingegen bestehen strikt auf dem gläsernen Partner.
    Dieses wissend, hatte ich meiner Frau schon vor langer Zeit alle E-Mail -Kennwörter als Liebesgabe ins Ohr geflüstert und sah mich deshalb am nämlichen Tage der barschen Frage ausgesetzt: «Wer bitte schön ist [email protected]?» Da «Keine Ahnung!» die falsche Antwort war, musste ich die
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