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Ich kann nicht, wenn die Katze zuschaut

Ich kann nicht, wenn die Katze zuschaut

Titel: Ich kann nicht, wenn die Katze zuschaut
Autoren: Stefan Schwarz
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«Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung schlägt jeder Zentimeter Körpergröße mit einem um 0,6   Prozent höheren Bruttogehalt zu Buche. Das bedeutet, dass bei gleicher Qualifikation ein zehn Zentimeter größerer Mann rund 2000   Euro pro Jahr mehr verdient als ich», trompetete ich empört im Großraum herum. «Ich verdiene aber gar nicht 2000   Euro mehr als du!», erwiderte der Kollege Ulfi mit der für größere Männer typischen Einfachheit. «Wie gesagt, bei wenigstens gleicher Qualifikation», antwortete ich, und es gelang mir gerade noch rechtzeitig, dem gusseisernen Locher auszuweichen, der geflogen kam. (Wahrscheinlich aber nur deshalb, weil sich kleine Männer schneller ducken können.) «Du sollst es einmal besser haben», dachte ich damals still zu meinem noch völlig ungezeugten Sohn, während ich mit unverhohlenem eugenischen Interesse die Fotos der hünenhaften Vorfahren meiner Frau betrachtete, um sie mir dann sofort mit extrem anspruchsvoller Konversation und total individuellen Geschenken gefügig zu machen.
    «Du hast es geschafft. Du gehörst jetzt   … zu den anderen», sagte ich wiederum gestern wehmütig, als ich über dem Scheitel meines nun vorpubertierenden Sohnes mit Filzstift am Türrahmen jene Größe anstrich, die ich erst im Alter von sechzehn Jahren hatte.

Wunderliche Vielfalt in der Vererbung
    «Die sollen doch einfach nur die Schnauze halten», brüllt die Trollprinzessin von fern. Gut, in abgebrühten Journalistenfamilien ist der Ton oft rau («Kinder, der Papi muss den Großbrand mit den sieben Toten noch auf zweidreißig für die Achtzehn-Uhr-Sendung runterbrechen, aber dann können wir ins Spaßbad!»), doch es gibt Grenzen. Ich schaue ins Wohnzimmer, da lungert meine Tochter entspannt auf dem Fernsehsessel herum, deutet mit dem krümelnden Rosinenbrötchen auf den Bildschirm und erklärt ungerührt kauend: «Der kriegt jetzt was aufs Maul.» Das ist dann doch zu viel.
    Ich eile zum Gerät, um die Seele meines Kindes zu retten. Doch das Kind springt mir ans Bein und barmt: «Nur noch die eine Operation, bitte, bitte, bitte!» Ich schaue aufs Fernsehbild. Quälend langsam schneidet der Veterinärchirurg der Bulldogge mit der offenbar nur unter großen Schwierigkeiten aufgesetzten Narkosehaube die Geschwulst heraus, und ich überlege, ob dies nicht der rechte Zeitpunkt für die Gründung einer Selbsthilfegruppe «Ganz normale Eltern total wunderlicher Kinder e.   V.» ist.
    Die Trollprinzessin lässt sich unter keinen Umständen zum Anschauen altersgerechter Trickfilme bewegen, sondern guckt nur Tierklinik-Dokumentationen oder Kugelstoßen. Und der Kronsohn fiel schon im kirchlich-friedensbewegten Kindergarten dadurch auf, dass er seine Mitbatzis dazu bringen wollte, den Frontverlauf desRusslandfeldzuges im Sommer 1943 nicht nur mit Bauklötzchen nachzuspielen, sondern auch noch zu erörtern und zu beraten.
    Was haben wir falsch gemacht? Lag es daran, dass ich die selbst an Pseudokonflikten überaus armen Benjamin-Blümchen-Geschichten immer ohne Betonung und innere Anteilnahme vorgelesen habe? («Otto, törööö, dein Schnürsenkel ist auf. Was sollen wir nur tun?») Nebenbei: Wirklich leidenschaftlich gern hab ich nur die Geschichte von der traurigen Prinzessin vorgelesen, aber nicht wegen der bekannten Story, sondern wegen der Illustrationen, in denen ein mitfühlender Zeichner das Edelfräulein mit Klimperwimpern, einem vorteilhaften Dekolleté, einer doppelt atemberaubenden Schnürtaille und anderen, nur für Kinder unerheblichen Details ausgestattet hatte. (Tja, liebe Kinderbuchverlage, mal drüber nachdenken: neues Marktsegment. Für Kinder geschrieben, für Väter illustriert.)
    «Das ist bloß eine Phase», beruhigte mich meine Schwester beim sonntäglichen telefonischen Bruderberuhigungsgespräch. «Das sagst du jetzt schon seit zwei Jahren», nörgelte ich. «Bring sie einfach mehr mit normalen Kindern zusammen, und du wirst sehen   …» Da meine Schwester älter ist als ich, gehorchte ich ohne weitere Einwürfe. Tatsächlich entspann sich der nächste Spielenachmittag mit der amtlich normal entwickelten Rosa-Lilly sehr harmonisch. Die Barbies wurden herausgeputzt und auf die Pferde gesetzt, dass es eine altersgerechte Freude war. Ich saß mit Rosa-Mutti in der Küche und langweilte mich hervorragend. Dann kam die Trollprinzessin herein und kramte im Bastelfach. «Na, du suchst wohl ein Schleifchen für dein Barbiepferd?», flötete ich
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