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Ich kann nicht, wenn die Katze zuschaut

Ich kann nicht, wenn die Katze zuschaut

Titel: Ich kann nicht, wenn die Katze zuschaut
Autoren: Stefan Schwarz
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Wochen später kam sie auf mich zu. An den Zaun. Ich stand mit freiem Oberkörper im Garten und setzte den Komposthaufen um. Schweiß glänzte auf meiner Haut, und wahrscheinlich war Omi Schneider vonden Lichtreflexen angelockt worden, die meine Obacht erheischend kontrahierende Muskulatur im Sonnenschein verursachte. «Mein Mann ist ja nun tot», setzte sie mich unsentimental in Kenntnis. «Deswegen frage ich Sie, wann Sie endlich mal den Holunder absägen wollen.» «Den Holunder? Absägen? Ich?», fragte ich irritiert zurück, weil mich ein langes Leben gelehrt hatte, dass es manchmal ausreicht, nur lange genug irritiert zurückzufragen, um alle Ansinnen wieder von dannen ziehen zu lassen. «Ja, der Holunder! Was glauben Sie, was der für einen Dreck macht. Die Trauben, dieses ganze blaue Gematsche, überall auf dem Wegpflaster. Und dann im Herbst die Blätter, überall liegen die rum. Auf dem Dach, verstopfen die Dachrinne. Man wird ja seines Lebens nicht mehr froh! Außerdem verstößt er gegen das Bundeskleingartengesetz, weil er zu dicht am Zaun steht. Also, der muss weg!»
    Ich spürte, wie sich meine Lebenstätigkeit ganz plötzlich bewusst verlangsamte, und mit der Besonnenheit eines Mannes, der weiß, wie dünn die Kruste zivilisierten, friedlichen Zusammenlebens sein kann, legte ich den Spaten so weit weg, wie ich es für nötig erachtete. «Ich vermisse Ihren Mann», sagte ich, «er fehlt mir.» Omi Schneider äugte mich von der Seite an und erwiderte kurz im Jargon der Generation, die noch den Krieg erlebt hat und sich gut aufs Wesentliche konzentrieren kann: «Jaja.» Die Antwort überzeugte mich davon, dass es wahrscheinlich sinnlos war, Omi Schneider in ein feingesponnenes Netz emotionaler Abhängigkeit zu verstricken, wie ich es sonst immer tue. Das Bundeskleingartengesetz war auf ihrer Seite. Und damit basta. «Na ja, okay, ich mach den mal weg. Bei Gelegenheit», bewahrte ich mir einen kleinen Rest zeitlicher Freiheit.
    Omi Schneider war zufrieden. «Ordnung muss sein, junger Mann. Das hat mir schon meine Mutter beigebracht. Damals in Tschepine. Das liegt bei Breslau. Kennen Sie Breslau? Wir mussten ja alles zurücklassen damals. Sogar den Hund. Er hieß Alfie. Es war ein Deutscher Schäferhund. Wahrscheinlich haben ihn die Russen totgemacht. Oder die Polen. Oder sogar gegessen. Es gab ja nix zu essen. Damals. Vor dem Krieg, ja, da   …» Ich versuchte, so uninteressiert zu gucken, wie man nur gucken kann, ohne aggressiv zu wirken. Schon die geringste Anteilnahme würde mich in der nächsten Stunde mit den Geheimnissen schlesischer Küche und Lebensart überschütten.
    Ich bereute es ein bisschen, nachgegeben zu haben. Aber nicht so sehr, wie ich es bereuen sollte, als ich meiner Frau sagte, dass ich auf Geheiß von Omi Schneider den Holunder fällen würde. «Kommt gar nicht in Frage. Der Baum bleibt. Wovon soll ich im Herbst Holundersuppe machen?», sagte meine Frau, die noch nie im Herbst Holundersuppe gemacht hatte, aber jetzt offenbar wild dazu entschlossen war. Sie schob sogar ein bisschen ihr Kinn vor. Kein gutes Zeichen. Die Zeit, wo Frauen es sich noch hoch anrechneten, fest hinter der Entscheidung ihres Mannes zu stehen, wie auch immer sie ausfiel – gab es diese Zeit überhaupt? Jetzt durfte ich mich jedenfalls entscheiden, wen ich lieber gegen mich aufbringen wollte. Die unnachgiebige, kriegserfahrene Omi Schneider oder die vom Schwiegervater mit teutonischen Konfrontationsreflexen erblich vorbelastete Liebste. Es war völlig klar, dass im letzteren Falle der Waschlappen von einem Mann da neben ihr im Doppelbett für lange nicht mal in die Nähe ihres Negligés gelassen werden würde, wie auch völlig klar war, dass eine enttäuschte Omi Schneider den Gartenvorstandsamt Zollstock gegen mich aufhetzen würde und ich vor lauter Rückbauvorschriften, Zwiebeleinsatztiefenmessungen und Obstbaumoberkappungsgrenzen jahrelang nicht mehr zum Dösen in der Hängematte kommen würde.
    Ich stand eine Weile am Fenster und kraulte die Katze, die von oben finster einen Terrier belauerte, der mit elegant abgespreizter Pfote seelenruhig unsere Einfahrt als die seine markierte. Dann drehte ich mich um, ließ meine Stimme so tief wie nur möglich in die Brust sacken und sagte: «Die Russen haben Omi Schneiders Lieblingshündchen an einem Holunderbusch aufgeknüpft. Weil er keine Kunststücke konnte. Im Krieg. Damals in Schlesien. Sie muss immer daran denken, wenn sie unseren Holunder sieht. Nun weißt
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