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Ich kann nicht, wenn die Katze zuschaut

Ich kann nicht, wenn die Katze zuschaut

Titel: Ich kann nicht, wenn die Katze zuschaut
Autoren: Stefan Schwarz
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aber bei Amseln soll das Wohlklang der Schöpfung sein.
    Das Amselmännchen tut das angeblich, um sein Revier zu markieren, was nur zeigt, dass Amselhähne irrsinnig überzogene Vorstellungen von den Ausmaßen ihres Reviers haben. Das wohnzimmergroße Amselrevier lässt sich problemlos auch weniger bombastisch verteidigen. Zum Beispiel mit Handzeichen. Ich hätte nichts dagegen, wenn sich in den Bäumen vor meinem Fenster ab vier Uhr in der Früh Hunderte Amselmännchen mit den abscheulichsten und aggressivsten Handzeichen, die man sich nur vorstellen kann, gegenseitig in die Schranken weisen. Aber bitte nicht mit diesen tinitusähnlichen Klingeltongeräuschen. Das Gedröhn soll zudem der Paarbindung dieser Prollvögel dienen. Offenbar gilt bei den Amseln immer noch der gute alte Unterschichten-Benimm «Wer am lautesten schreit, hat recht!». Auch sonst scheint der hinterhältige Heckenbrüter und Regenwurmmörder intelligenzmäßig eher zu den Trotteln als zu den Drosseln zu gehören,was Tausende verblüfft sehenden Auges überfahrene Jungamseln pro Jahr eindrucksvoll belegen.
    Jahrmillionen vegetierte die Amsel deshalb auch unter ein paar Waldbüschen dahin, bis ihr der Mensch mit dem Rasenmäher den Weg frei machte. Denn die Amsel ist ein Kurzrasenfolger. Und genau hier, wo er Bodenfeinden wie Fuchs und Katze, die sonst als natürlicher Schallschutz bei jeder Gelegenheit den grölenden Amselhahn zudrehten, besser entkommen konnte, vermehrte er sich wie die Kelly-Family. Aber dem Kurzrasen folgt das Herzrasen, denn das menschliche Ohr schläft nicht.
    Die Frage, wie viele Menschen an amselbedingter Tachykardie eingehen, wagt die von ornithophilen Fanclubs terrorisierte Lärmforschung nicht zu beantworten. Aber wer solche gefiederten Freunde hat, braucht keine Feinde mehr. Was können wir gegen den Amsellärm tun? Die Bäume vor unseren Fenstern absägen kann nicht die Antwort sein, und viertelstündlich jeden Morgen Gas-Entladungskanonen abfeuern, wie es die Kirschenbauern in den Plantagen tun, scheint mir eine von Seiteneffekten überwucherte Option zu sein.
    Aber es gibt eine Lösung. Wenn alle energischen Befürworter der Nacht- und Morgenruhe die tagsüber in ihren Sonnensandkuhlen vor sich hin dösenden Vögel aufschrecken und vom Mittagsschlaf abhalten, sollte es möglich sein, den Wach-Schlaf-Rhythmus der Amselmännchen so zu verschieben, dass im Morgengrauen nichts anderes mehr durch unsere Fenster dringt als ein liebliches Schnarchgeräusch aus Hunderten apfelsinenfarbener Schnäbel.

Der Lügenprinz
    Beiläufigkeit ist ja eine meiner großen Schwächen. Das liegt daran, dass ich es immer kaum erwarten kann, so nebenbei eine kriegsentscheidende Bemerkung fallenzulassen oder aus dem Hintergrund eine Frage zu stellen, nach der sich alle anwesenden Nobelpreisträger mit offenem Mund umdrehen und ganz hippelig werden. «Ist alles okay, Papa?», sagte denn auch der Kronsohn beim Frühstück, nachdem ich ihn eine Viertelstunde beim Kaffeebrühen, Brötchenschmieren und Zeitunglesen unablässig mit verkniffenen Augen angeblitzt hatte. «Habt ihr eigentlich schon die große Mathematikarbeit zurückbekommen?», fragte ich scheinbar in mich gekehrt, während ich sehr betont so ganz nebenbei dick Leberwurst auf das Croissant schmierte.
    «Die Mathematikarbeit?» Ächzend und quietschend begann der Hirnapparat des Pubertisten loszuwalzen. «Wurde nicht gewertet. Weil   … (Ratter. Dampf. Zisch.)   … unser Lehrer, er hat was verschüttet auf die Arbeiten. Beim Korrigieren. Wein hat er verschüttet. Er trinkt immer Wein beim Korrigieren, und der ist umgekippt. Hat alles verschmiert.»
    Ich nahm, während ich aus dem Fenster schaute, als sei nichts gewesen, einen genießerischen Schluck aus der Kaffeetasse, die sich allerdings als das Sahnekännchen erwies, und knobelte: «Das muss aber viel Wein gewesen sein. Bei 28   Schülern.» «Ja, es war   … ein Weinfass. Er trinkt immer aus einem Weinfass auf seinem Schreibtisch.Er ist ja schon sehr lange Lehrer. Da entwickelt sich so was.» Der Rest ging in einem kakophonischen Wutanfall meinerseits unter, in dem peinliche Benotungsdetails aus meinem jüngsten Lehrertreffen und heiser gebrüllte Forderungen nach Aufrichtigkeit, unverbrüchlicher Treue und eisernem, übermenschlichem Lernwillen (welcher nicht zuletzt das weltbekannte Hauptcharakteristikum seines Vaters wäre) ein unauflösliches Amalgam bildeten.
    «Was soll nur aus ihm werden?», klagte ich meinem Weib
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