Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich kann nicht, wenn die Katze zuschaut

Ich kann nicht, wenn die Katze zuschaut

Titel: Ich kann nicht, wenn die Katze zuschaut
Autoren: Stefan Schwarz
Vom Netzwerk:
im Doppelbett den wahren Grund meines Zorns. «Er lügt so schlecht. Viel zu kompliziert und unwahrscheinlich. Er macht auch zu viele Pausen.» Menschen, die nicht richtig lügen können, haben es sehr schwer im Leben. Jemand Lästigen oder auch nur Unpassenden mit einer befriedigenden und plausiblen Lüge abspeisen zu können ist eine der wichtigsten Zivilisationstechniken überhaupt. Man muss länger arbeiten, alle Termine einhalten und sich dauernd mit doofen Bekannten treffen, wenn man nicht lügen kann. Ja, souveräne Lebensgestaltung ist nahezu unmöglich, wenn man nicht aus dem Stand heimische Wasserrohre gebrochen oder über Nacht Autobatterien entleert sein lassen kann.
    «Was war ich für ein phantastischer Lügner!», himmelte ich mich an. «Wie oft war meine Oma schwer krank, und viermal hab ich sie sogar sterben lassen, nur, um es noch echter wirken zu lassen. Aber hat sich leider nicht vererbt.» «Und lügst du heute auch noch?», zog meine Frau ihre Bettdecke unters Kinn und sah mich streng an. «Nein, mach dir keine Sorgen», beruhigte ich sie schnell und zärtlich, während der Wecker hinten auf dem Nachttisch noch eine ausreichende Viertelstunde bis zum Einschlafen verhieß, «ich bin zu alt und schusselig dafür. Ichkrieg’s ja kaum noch hin, die Leute auseinanderzuhalten, die wissen, dass meine Oma an Wassersucht starb, für die meine Oma auf der Treppe gestürzt ist und die, die sich noch genau an den wandernden Granatsplitter in Omis Herz erinnern können.»

Omi Schneider kommt auf mich zu
    Ich weiß nicht mehr, wann genau meine Gartennachbarin Omi Schneider mein Holunder zu stören begann. Als ihr Mann noch lebte, störte mein Holunder sie jedenfalls nicht. Da war es noch ihr Mann, der sie störte. Mehr noch war es der grundsätzlich störende Zustand der Welt im Allgemeinen, den nach und nach in Ordnung zu bringen sie ihren Mann schon seit längerem gebeten hatte. Er war dazu aber offenbar nicht in der Lage.
    Omi Schneider rief ihren Mann immer Hartmut, und sie rief ihn ziemlich häufig. Hartmut sollte «endlich mal den Rost aus dem Flieder schneiden». Hartmut sollte «die widerlichen Maiglöckchen nicht nur immer abschneiden, sondern richtig ausgraben». Hartmut sollte auch den Mooskratzer schleifen, die Irisknollen vorher beizen und die Leimringe anbringen, weil er es «sonst bald ganz lassen» könne. Das war alles an einem Tag nicht zu schaffen, denn Hartmut bewegte sich sehr langsam. Seine Langsamkeit steigerte sich sogar zu einer Art Superzeitlupe, wenn Omi Schneider in Reichweite war. Es war, als fürchtete er, schnellere Bewegungen könnten sich plötzlich selbständig machen und ungefragt zu Amok und Blutrausch übergehen. (So zu handeln war schon ziemlich Hartmut, und umsonst nennt heute niemand mehr sein Kind so. Heute müsstense alle Weichmut heißen.) Seine mit dem Alter löchrig gewordene Selbstbeherrschung gestattete ihm nur gleichmäßige, betont langsame und ganz bewusstausgeführte Handlungen, wenn er zum Beispiel das sorgfältig geschärfte und gut in der Hand liegende Beil aus dem Schuppen holte, um, um, um, ja was nochmal?   … ach, ja, die Pflanzstöcke für die Tomaten anzuspitzen. Es war ein Teufelskreis, denn von allen Dingen, die Omi Schneider an Hartmut störten, stand die entsetzliche Langsamkeit ihres Gatten an allererster Stelle.
    Er war allerdings selber schuld. Omi Schneider war mal ein fesches Ding gewesen und – wichtig nach dem Krieg – schön drall, damals in der Kammgarnspinnerei. Das war, als sie noch Pawelke hieß, und vertrieben war sie sowieso, wie Onomasten jetzt schon ahnen. Sie war zehn Jahre jünger als Hartmut, ihr Lehrlingsausbilder, und hatte ein kesses Mundwerk. Das imponierte ihm, und er heiratete sie. Richtig wäre es gewesen, Gisela Grubitzsch zu heiraten, die ein bisschen ein zu kurzes Bein hatte, aber gottlob kein kesses Mundwerk und auch später keins bekam.
    Ich musste das jetzt ausbaden. Denn eines Tages fiel Hartmut Schneider langsam und bedächtig gegen die Pergola und starb ohne viel Aufhebens. Omi Schneider rief noch: «Hartmut, Herrgott nochmal, du drückst die ganze Pergola ein!», aber Hartmut starb einfach weiter. Wenn man stirbt, ist eine «Preishammer!»-Spanholz-Pergola zu 49   Euro vermutlich nicht Grund genug, damit aufzuhören. Am Montag hatten sie noch neue Tassen gekauft. Jetzt war der Mann tot, die Pergola hin. Und dann noch vertrieben. Omi Schneider fühlte sich vom Schicksal echt in die Zange genommen.
    Zwei
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher