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Ich kann jeder sagen

Ich kann jeder sagen

Titel: Ich kann jeder sagen
Autoren: Robert Menasse
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mich nach einer halben Minute entschieden, aber Robin erweckte den Eindruck, als wollte er die Speisekarte auswendig lernen, inklusive der Jahrgänge der Flaschenweine.
    Nach zehn Minuten fragte ich ihn: Weißt du schon?
    Was?
    Was du willst.
    Weißt du, was du willst?
    Ja, sagte ich.
    Und bekommst du, was du willst?
    Ich schaute ihn an. Da kam der Kellner. Ich bestellte. Robin sagte, er nehme das Gleiche.
    Und zu trinken, fragte ich. Apfelsaft?
    Du hast doch eine Flasche Wein bestellt.
    Ja
    Ist gut.
    Dazu eine große Flasche Wasser, sagte ich zum Kellner.
    Ich nahm mir immer vor, in Restaurants vor dem Essen kein Brot zu essen, und konnte doch nie widerstehen. Robin versuchte, oder tat so, als versuchte er es, mit der Gabel eine Olive aufzuspießen, aber ständig sprang sie weg und rollte über den Teller, er stach zu, und die Olive sprang weg, ich mampfte Brot, das ich in Olivenöl tunkte, und sah mit wachsender Irritation zu, wie Robin immer wieder mit der Gabel auf die Olive einstach, die jedesmal unter der Gabel wegrollte.
    Was machst du da? fragte ich.
    Ich mache sie müde.
    Lass den Unsinn, sagte ich. Wir müssen reden.
    Worüber? Über das Taschengeld?
    Er öffnete die Speisekarte und studierte sie wieder.
    Ich habe dir etwas mitgebracht, sagte ich. Hier! Das Startpaket.
    Ich legte es vor ihn hin. Eine in Plastik eingeschweißte Sammlung aller Euro- und Cent-Münzen, im Gegenwert von 100 Schilling, in Summe also sieben Euro. Diese »Startpakete« wurden damals von den Banken ausgegeben, damit man sich schon vor dem 1. Januar mit diesen Münzen vertraut machen konnte.
    Danke, sagte Robin. Weißt du, was Oma gesagt hat?
    Nein. Was hat sie gesagt?
    Dass du jetzt deinen Job verlieren wirst.
    Warum?
    Es steht ja jeden Tag in der Zeitung. Noch nie in der Geschichte gab es so fälschungssicheres Geld wie den Euro. Es wird jetzt lange kein Falschgeld mehr geben.
    Warum? Es ist für Geldfälscher einfach eine neue Herausforderung.
    Aber wozu soll man sich die Mühe machen, Geld zu fälschen, wenn es genügt, das Geld falsch umzurechnen?
    Es gibt ein Gesetz, das das verbietet.
    Und bist du dafür zuständig? Man wird Leute wie dich nicht mehr brauchen. Oma hat gesagt, man wird uns ganz offiziell betrügen, wir werden nicht auf Falschgeld, sondern auf das neue Geld hereinfallen. Wie bei der Währungsreform 1947.
    Was weißt du von der Währungsreform 1947?
    Was Oma erzählt hat.
    Ich kannte mich jetzt überhaupt nicht mehr aus. Robin rebellierte gegen mich – aber mit Geschichten meiner Mutter!
    Der Kellner brachte die Vorspeisensalate und wollte die Speisekarten mitnehmen.
    Robin hielt die seine fest und sagte: Die brauche ich noch!
    Was macht das Studium? fragte ich.
    Geht so.
    Das heißt?
    Es war seltsam. Mein Sohn studierte Philosophie. Ich hätte das verstehen sollen. Oder gar Genugtuung empfinden. Aber ich verstand es nicht. Wir aßen den Salat.
    Der Kellner servierte die Teller ab. Wieder wollte er die Speisekarte mitnehmen, aber Robin legte die Hand darauf: Nein, die brauche ich noch.
    Also, sagte ich. Dein Studium! Welche Vorlesungen besuchst du?
    Einführung in die Philosophie Eins. Einführung in Religionsphilosophie.
    Religionsphilosophie? Ist das Pflicht?
    Ja. Und Einführung in die Logik. Dann noch Politische Utopien, aber –
    Politische Utopien?
    Ja. Aber findet nicht statt.
    Was heißt, findet nicht statt?
    Was ich sage: war angekündigt, ich habe mich eingeschrieben, aber es findet nicht statt. Und dann noch Klimawandel.
    Bitte was?
    Klimawandel. Aus ethischer und wissenschaftsphilosophischer Sicht.
    Was ist das?
    Hauptvorlesung. Pflicht im ersten oder zweiten Semester.
    Ich schüttelte den Kopf. Robin nahm die Speisekarte und steckte sie in seinen Rucksack. Der Kellner brachte die Pasta.
    Ich bestellte immer etwas Vegetarisches, wenn ich Robin zum Essen traf. Er aß kein Fleisch. Und ich legte bei Tisch Wert auf Symmetrie. Mit jemandem zu essen sollte in jeder Hinsicht etwas Gemeinsames sein. Ich beobachtete ihn, wie er den Wein trank. Er hatte nicht viel Erfahrung mit Alkohol. Er trank den Wein wie einen Saft, hielt dann erschrocken inne und trank sehr viel Wasser nach. Die Pasta war grauenhaft. Dieses Gemüsesugo war viel zu fett. Ich nippte an meinem Wein, sah Robin an. Er aß mit Appetit. In seinem Alter hatte man noch einen guten Magen. Ich schob meinen Teller weg, wollte nicht aufessen.
    Hat es geschmeckt?, fragte der Kellner, als er abservierte.
    Ja, sagte ich. Ausgezeichnet.
    Robin sah mich
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