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Ich hatte sie alle

Ich hatte sie alle

Titel: Ich hatte sie alle
Autoren: Katinka Buddenkotte
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Aggression …«
    »Kann ich jetzt weitermachen? Also, Daniel war plötzlich cool und wollte sich nicht mehr mit mir umbringen, sondern lieber mit anderen Mädels rummachen, und wenn es dann schieflief, anschließend mit mir darüber reden, dass er sich zu gegebener Zeit doch mal wieder umbringen wollte.«
    »Warum hast du dich nicht alleine umgebracht?«
    »Wie bitte?«
    »Na ja, Gründe gab es ja mehr als vorher. Ich meine, bevor Daniel Bassist wurde. Du warst jetzt völlig alleine mit deinen Pickeln und …«
    »Ja, schon, aber da war ich ja schon angefixt, also in meiner ersten Mutter-Ente-Phase oder der Adoptionsphase , wenn Sie so wollen. Ich habe hier mal eine Kurzdefinition dieses Stadiums skizziert, also:
    Ist das persönliche oder sexuelle Interesse des Bassisten an seinem Wirt erloschen, was meist nach drei bis vier Wochen eintritt, wird hierdurch gleichzeitig der Bemutterungsinstinkt im Wirt ausgelöst.
    Je nach Alter und Rang des Bassisten beginnt der Wirt nun, sich um alle lebenswichtigen Belange des Parasiten aufopferungsvoll zu kümmern, wie zum Beispiel: Hausaufgaben erledigen, Mappe für die Kunsthochschule zusammenstellen, neuen Verstärker kaufen, Nahrung, jagen, Telefonrechnung bezahlen etc.
    Ständige Aufgaben des Wirtes sind und bleiben, unabhängig von der Ausprägung des Bassisten, das Bereitstellen einer Nasszelle, über die ein Bassist nie verfügt, das Erstehen von losem Tabak, den der Bassist immer braucht, sowie das ständige Beteuern des Genies und das halbwegs richtige Erraten von Läufen.«
    »Was war das Letzte? Erraten von Läufen?«
    »Na ja, also jeder Bassist lebt ja hauptsächlich auf seinem Hochbett, auf dem er sitzt und über die Gesellschaft schimpft. Oder über die Musikindustrie. Wenn er damit fertig ist, schnappt er sich sein Instrument,spielt einen Basslauf vor und fragt dann nach, was er gerade gespielt hat.«
    »Und? Ist das schwer zu erraten? Ich meine für Nicht-Musiker wie dich?«
    »Nein, eigentlich nicht. Zu Anfang spielen sie immer Love will Tear us apart , Kontrabassisten immer My Bloody Valentine . Das ist ihre Idee von Romantik, verstehen Sie?«
    »Das ist krank.«
    »Jedenfalls soll das immer My Bloody Valentine sein, hören tut man aber immer nur tschakabum … bumm … bummmbummbumm.«
    »Katinka, das ist ja wirklich völlig krank. Ich meine, das hört sich ja alles furchtbar an. Wann, wie und vor allem warum sollte sich irgend jemand einen Bassisten einfangen?«
    »Tut ja keiner. Die landen alle bei mir. Ich hatte sie alle.«
    »Vielleicht bist du einfach nur total bescheuert. Oder lethargisch und nymphoman, mit ziemlich ausgeprägten masochistischen Tendenzen?«
    »Das finde ich jetzt gemein. Ich will Bassisten haben, und zwar im Endstadium!«
    »Okay, dann haben wir es ganz eindeutig mit einem klaren Suchtverhalten zu tun. Wobei ich gelernt habe, dass eine Suchtsubstanz wenigstens im ersten Moment angenehme Gefühle auslösen muss, um jemanden abhängig von ihr zu machen. Also: Was ist der Kick an einem Bassisten, Katinka?«
    »Wissen Sie, Bassisten ergänzen mich. Sie sind dasYang zu meinem Yin. Denn sie können alles, was ich nicht kann: Bassisten können immer den Rhythmus und auch mal den Mund halten.«
    »Katinka, du bist unheilbar. Herzlichen Glückwunsch!«
    »Danke … bummbummbummbummbumm.«

Es geht bergab mit der Wirtschaft. Tausende und Abertausende von Menschen verlieren ihre Jobs und müssen ihren Lebensstandard herunterschrauben. Ich muss das nicht. Ich kann mich schön zurücklehnen und zuschauen, wie sich die anderen langsam meinen Verhältnissen annähern.
    Ich bin schon seit Jahren arm. Ich alte Trendsetterin bin den anderen mal wieder um Längen voraus. Ich habe meinem finanziellen Missstand sogar ein paar positive Seiten abgerungen: Ich besitze kein Auto, aber wenn ich mal in einem mitfahren darf, freue ich mich darauf wie ein Golden Retriever, der merkt, dass es endlich Gassi geht. Manchmal ist es den Fahrern unangenehm; viele sind es nicht gewohnt, dass ihr Beifahrer den Kopf aus dem Fenster hält und hechelt. Wenn ich meine Eltern besuche, ist das für mich Science-Fiction. Mein Vater muss mir jedes Mal wieder das Wunder eines Ceranfeldes erklären. Das Geräusch der Spülmaschine ist reine Meditationsmusik für mich, und ich bin so an meine Tröpfeldusche gewöhnt, dass mir der volle Wasserstrahl bei meinen Eltern den Rücken geradezu geißelt.
    Natürlich hat Armut auch ihre Kehrseiten. Die Liebe kann darunter leiden.
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