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Ich haette dich geliebt

Ich haette dich geliebt

Titel: Ich haette dich geliebt
Autoren: Anne Haferburg
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ungeheuer laut vor, und ich merkte erst jetzt, wie schnell ich gerannt war. Mein Herz pochte unnatürlich heftig. Ich musste stehen bleiben. Mir fiel auf, dass ich ein T-Shirt von Kai anhatte. Ein Schlaf-T-Shirt. Er trug immer oben Shirt und unten nichts. Dieser Aufzug hatte ihn kindlich aussehen lassen. Jedenfalls war Kai ohne dieses T-Shirt gegangen. Vielleicht trug er mittlerweile Schlafanzüge oder er schlief nackt. Ich wünschte, es wäre mir egal.
    Obwohl ich wie verrückt dagegen ankämpfte, kamen mir die Tränen. Ich konnte noch so lange laufen und trotzdem würde niemand da sein, wenn ich verschwitzt und durstig wieder in der Wohnung ankäme. Niemand, der mich zu meinem sportlichen Ehrgeiz beglückwünschte. Keiner, der mir ein Glas Wasser reichte und sagte: „Du stinkst, geh duschen.“
    Ich heulte Rotz und Wasser. Doch nach zwei weiteren Kilometern schlug die Trauer in Wut um. Ich hatte einen Vater gehabt, der von mir wusste. Der wahrscheinlich im Angesicht des Todes zur Besinnung kam und seiner Tochter sagen wollte, dass ihm alles sehr leid tue. Ja, damit rechnete ich. Mit einer Entschuldigung oder dem Versuch einer Erklärung. Für mich bestand nicht mal mehr die Chance, ihn und seinen Schrieb zu ignorieren. Dafür hätte er zumindest noch leben müssen. Ich konnte ihm auch nicht mehr sagen, dass es mir an einem Vater nicht gefehlt hatte. Dass meine Mutter und ich uns genug waren. Dass wir uns liebten und vertrauten. Obwohl wir von zwei verschiedenen Planeten kamen und der Altersunterschied sich oft bemerkbar machte – zwischen uns fehlte immerhin eine Generation. Trotzdem. Dieser Mann war nie da gewesen. Er hatte seine Tochter negiert. Am Ende hinterlassen solche Dinge immer Spuren.
    So schnell ich konnte, rannte ich zurück in die Wohnung. Ich war mir sicher, dass ich den Leuten von dem Beerdigungsinstitut meine Meinung sagen wollte. Sollten die wenigstens ihr Fett abbekommen. Aber es war zu spät. Niemand hob ab. Als ich gerade auflegte, klingelte es.
    „Clara? Hier ist Willy.“
    „Alles klar?“
    Ich hechelte.
    „Du klingst so komisch?“
    „War laufen. Ist es nicht voll bei Euch?“
    „Deshalb ruf ich an. Piko ist nicht gekommen. Wir schwimmen. Kannst du aushelfen?“
    „Ich bin gleich da. Zehn Minuten.“
    Etwas Besseres hätte mir an diesem Abend nicht passieren können. Ich wollte nicht allein sein. Lieber würde ich hunderte Teller bei Willy spülen, als auf dem Sofa die Wand anzustarren. Ich duschte und schminkte mich. Kai hatte mir immer gesagt, dass ich auch ungeschminkt schön sei. Das war für mich ein echtes Kompliment. Aber er war nicht mehr da. Also schminkte ich mich.
    Als ich das letzte Mal bei Willy aushalf, trug ich ein knallenges, rotes Top. Alle anderen steckten in züchtigen weißen Kochjacken, die zu meiner Verwunderung auch an einem Abend mit hundert Gästen immer noch weiß waren. Ich kam mir bescheuert vor in meinem roten Nichts. Außerdem hatte ich die Nebenwirkungen einer Restaurantküche unterschätzt. Heiße Fettspritzer hinterließen noch eine Woche später kleine braune Flecken auf meinem Arm.
    Auf dem Weg zu Willy überlegte ich fieberhaft, ob ich ihm von dem Brief erzählen sollte. Die gewünschte Reaktion stand genau fest. Ich wollte hören, dass ich falsch behandelt wurde und dass man mich nicht auf diese Weise behelligen durfte. Da Willy aber nicht gerade ein Ausbund an Empathie war, fürchtete ich mich vor einem eventuellen Verständnis für die Situation meines Vaters oder gar einem Erklärungsversuch aus der Sicht eines Mannes. Das Risiko erschien mir dann aber klein. Die Art, wie ich ihm davon erzählte, nahm Einfluss auf seine Reaktion.

    Der Laden war proppevoll.
    „Mann, warst du schnell!“
    Willy schaute mich dankbar an. Ich nickte den fünf bekannten Gesichtern in der Küche zu.
    „Was soll ich machen?“
    „Geh an den Spüler und hilf Frederike beim Anrichten.“
    Willy verschwand, und ich schaute etwas ängstlich zur Chefköchin hinüber. Frederike schüchterte mich ein. Sie strahlte ein Selbstbewusstsein aus, von dem ich nur träumen konnte. Ihre Stimme passte bestens dazu. Tief und bestimmend sprach sie ihre Befehle aus. Obwohl wir gleich alt waren, hätte es mich nicht gewundert, wenn sie mir bei Fehlverhalten, wie einem Kind, eine runtergehauen hätte.
    „Clarissa, mach mal erst den Haufen Geschirr dahinten.“
    Gern hätte ich ihr gesagt, dass ich Clara genannt werden wollte, aber das behielt ich für mich. Flink stapelte ich das
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