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Ich haette dich geliebt

Ich haette dich geliebt

Titel: Ich haette dich geliebt
Autoren: Anne Haferburg
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unverzichtbaren Lippenstift, ihr Leben lang nichts als Seife und einen Waschlappen benutzt.
    Meine Mutter und ich wohnten zusammen, bis zwei Jahre vor ihrem Tod. Kai wollte, dass ich zu ihm zog. Sie hatte entgegen meinen Befürchtungen Verständnis dafür, dass ich ausziehen wollte. Ich glaube, dass sie sogar froh war, mich ganz in Kais Händen zu wissen. Sie hat ihn vergöttert und behandelt wie einen Adoptiv-Sohn.
    Wir drei waren oft zusammen. Wir spielten Rommé und schauten uns Quizshows im Fernsehen an. Es war auf eine spießige Art gemütlich. Als meine Mutter starb, war sie mit dem Gedanken gegangen, dass ich nicht allein auf der Welt war. Jetzt war ich es doch.
    So sehr ich meine Mutter auch liebte, so verschieden waren wir. Der Krieg hatte ihr einigen Mangel beschert. Sie hatte wenig Verständnis für ausufernde Wünsche. Besondere Kleidungsstücke oder Reisen musste ich mir als Teenager mühsam erkämpfen. Sie verließ ihren Geburtsort so gut wie nie. Wenn ich versuchte, sie zu einem Urlaub zu überreden, bekam sie schlechte Laune. Ein Tagesausflug war noch in Ordnung, aber übernachten wollte sie nur in ihrem eigenen Bett. Wir stritten darüber, weil ich nicht verstehen konnte, wie man so wenig Interesse an der Welt haben konnte.
    Über ihre Eltern redete sie kaum. Ich weiß nur, dass sie den Krieg nicht überlebt hatten, und dass ihr Vater fester Bestandteil einer Militärkapelle gewesen war. Es hatte einen kleinen Bruder gegeben, der viel zu früh starb. Er hieß Oskar. Meine Mutter hatte mir mal ein Foto gezeigt, auf dem ein kleiner Junge von etwa vier Jahren zu sehen war. Er sah krank aus, und hohlwangig. Das machte ihn um Jahre älter. Er starb an einem Typhus.
    Jeder in der Stadt kannte meine Mutter. Und auch wenn sie sich nicht an den vielen gängigen Tratschereien beteiligte, war es ihr wichtig, was man über uns dachte. Als ich einmal drohte sitzenzubleiben, machte sie mir dermaßen Feuer unter dem Hintern, dass ich zwar Angst bekam, aber mich erst recht nicht anstrengte. Was mich ärgerte war, dass sie erst streng wurde, nachdem es unter den Nachbarn hieß, ich sei ein bisschen nachlässig mit der Schule und habe nur andere Dinge im Kopf als Lernen. Sie wollte, dass wir einen guten Eindruck machten. Die Abwesenheit meines Vaters schien niemanden zu kümmern. An den Makel, dass bei uns kein Mann im Haus war, hatten sich schon alle gewöhnt.

    Die gefrorenen Teebeutel-Klumpen fielen mir immer wieder von den Augen. Ich musste mich hinlegen. Im Innersten wusste ich, dass ich fahren würde, um mir den Brief zu holen, den dieser Louis Kampen mir geschrieben hatte. Es war vielleicht meine letzte Chance, etwas über ihn zu erfahren. Trotzdem konnte ich noch nicht anrufen und es laut aussprechen.

    Im Funkhaus war die Hölle los. Die Kollegen rannten durch die Gegend. Ich nickte ein paar Leuten zu und ging dann zu Jonas. Für einen Chef vom Dienst ein netter Kerl. Da hatte ich schon andere erlebt.
    „Was ist denn hier los?“
    „Hörst du unseren Sender nicht? Ein Kind ist verhungert. Bei uns in der Stadt. Stell dir mal vor. Fünf Jahre alt. Die Eltern sind besoffen gewesen, als sie die Kleine abgeholt haben. Die Wohnung war ziemlich versifft, soweit ich das verstanden habe. Sachen gibt es.“
    „Ein Mädchen ist einfach so verhungert? Traurig.“
    Was sollte man auch sagen? Traurig. Schrecklich. Furchtbar. Unglaublich. Alle Worte waren schon tausendmal benutzt worden. In weit weniger dramatischen Zusammenhängen.
    „Das Jugendamt kannte den Fall. Die haben's vermasselt. Kannst dir ja vorstellen, was jetzt los ist. Keiner will's gewesen sein. Immer ist der andere schuld. Die Eltern sind in U-Haft.“
    „Und was macht ihr?“
    „Naja, wir versuchen ein Interview zu bekommen, vom Jugendamt. Der Pressefuzzi von der Polizei schweigt sich noch aus. Wir haben ein paar Nachbarn aufgenommen. Morgen machen wir auf jeden Fall was mit den Hörern. Zum Thema halt. Dann können die ihren Mist auch loswerden. Einer muss morgen nochmal zu den Leuten dort im Haus. Ist draußen im Neubauviertel. Hast du Zeit?“, fragte Jonas.
    „Nein, bin zwei Tage weg. Was Familiäres. Muss mich um eine Beerdigung kümmern.“
    Ich hatte es gesagt. Die Entscheidung stand also fest. Ich würde fahren und mir den Brief dieses Louis Kampen holen.
    „Das tut mir leid. Verstehe. Melde dich, wenn du wieder einsatzbereit bist. Wir haben viel zu tun. Das geht noch weiter in die Politik und so.“
    Jonas schaute mich mit seinen Kuhaugen
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