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Ich haette dich geliebt

Ich haette dich geliebt

Titel: Ich haette dich geliebt
Autoren: Anne Haferburg
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an. Seine Wimpern waren schwarz und lang, wie mit der Wimpernzange nach oben gebogen.
    „Ja, mach ich.“
    Ich nickte ihm zu und schaute mich nach einem freien PC um.
    „Bringt ihr heute den Kulturscheunenbeitrag?“
    „Ach so, ja machen wir. Nachmittags. Karin nimmt ihn ab.“
    Jonas' Handy klingelte und er verschwand hektisch. Ich zog mich in die hinterste Ecke zurück. Die Arbeit an dem Beitrag dauerte ewig. Die Geschäftigkeit der anderen lenkte mich ab. Dauernd telefonierte jemand oder rief irgendwas durch das Büro.

    Ich war froh, wieder im Auto zu sitzen. An manchen Sonntagen fuhr ich zum Friedhof. Dort war es so ruhig, und trotzdem war man nicht allein. Das stille Einvernehmen aller Trauernden und sich Kümmernden beruhigte mich. Mit ein paar Rosen von der Tankstelle spazierte ich zum Grab meiner Mutter. Viele redeten mit ihren toten Angehörigen. Erzählten ihnen alles, als bekämen sie eine Antwort. Ich tat das nie. Meine Mutter war tot und sie konnte mich nicht mehr hören. Also sagte ich nichts. Auch nicht in Gedanken. Ich saß einfach auf einer Bank und schaute auf die Rosen. Die ruhigen Bewegungen der anderen, die liebevoll jeden kleinen Rest Unkraut von den Gräbern entfernten, ließen mich heute zum ersten Mal lächeln. Es war so friedlich alles. Hier hatte ich seltsamerweise noch nie geweint.
    Auf dem Rückweg stellte ich unseren Sender an. 89, 3 – Radio Mamma Mia. Die Musik war meistens seicht. Die Songs aus den Siebzigern konnten einem auf die Nerven gehen. ABBA, immer wieder ABBA. Ich wartete auf die Nachrichten. Viel wurde noch nicht gesagt über das tote Mädchen. Die Nachbarn waren sich einig, dass sie nichts bemerkt oder gar gesehen hatten ... und dass die Eltern eingesperrt gehörten. Der Bürgermeister versicherte, dem Fall auf den Grund zu gehen und ihn zur Chefsache zu machen. Niemand sollte ungeschoren davonkommen. Ich hörte schon die Stimmen der Empörten, die sich nicht vorstellen können, wie so etwas passieren kann. Diese Eltern. Was mussten das für Menschen sein.

    Als ich wieder in der Wohnung war, wusste ich nicht so recht, wohin mit mir. Ich schmiss ein paar Sachen in die Waschmaschine und starrte auf das rotierende Bullauge. Dann nahm ich mir ein Herz und rief die Frau vom Bestattungsinstitut an. Sie hatte mir ihre Handynummer gegeben. Wenn ich wolle, könne ich schon morgen kommen, um mir seine Wohnung anzuschauen und vielleicht doch etwas mitzunehmen. Man würde mir eine Pension besorgen, und ich sollte doch ein paar Tage bleiben, bis zu der Beerdigung am Donnerstag. Das alles schien mir reichlich übertrieben, aber ich schrieb mir zumindest die Wegbeschreibung genau auf, denn mein Orientierungssinn hätte nach einem Navigationssystem verlangt. Aber der Polo hatte noch nicht mal elektrische Fensterheber.
    Ich überlegte mir, noch zu Willy zu fahren. Wir hätten gemeinsam essen können. Sonntag war das Lokal geschlossen. Es war fast so, dass ich ein schlechtes Gewissen hatte, wenn ich mir an seinem einzigen freien Tag keine Zeit für ihn nahm. Andererseits: Wieso wartete er immer, bis ich mich meldete. Hatte er keinen eigenen Willen? Ich wollte zwar nicht allein sein, aber das konnte nicht so weitergehen. An manchen Tagen ertrug ich die rücksichtsvolle Zurückhaltung Willys mir gegenüber nicht.
    Es war jetzt sechzehn Uhr. Die Nachmittagsvorstellung im Kino würde ich noch schaffen. Ich ging ausschließlich am Nachmittag ins Kino. Dann war man fast immer alleine. Am Abend war es unmöglich, einen Film anzuschauen. Vor oder hinter mir saß immer ein Neunmalkluger, der den Film kommentieren musste oder, was noch schlimmer war, mit irgendwelchen Tüten raschelte. Das Knistern, wenn jemand nach seinem Popcorn, griff war wie eine Folter für mich. Meine gesamte Aufmerksamkeit wurde auf diese Nebengeräusche gelenkt. Bis zum Ende der Filme überlegte ich mir, was ich zu diesen ungehobelten Menschen sagen könnte, und verpasste dabei den Inhalt.
    Es waren drei weitere Personen im Kino. Bestens. Irgendein Mauerblümchen verliebt sich in ihren Chef und versucht mit allen Mitteln ihn auf sich aufmerksam zu machen. Leichte Kost, aber das beste, was mir passieren konnte. Ein Film, der nichts mit meinem Leben zu tun hatte. Nicht das Geringste.
    Als ich aus dem Kino kam, fror ich. Die Müdigkeit und der Kater vom Tag zuvor steckten mir noch in den Knochen. Ich fuhr nach Hause. Im Stehen inhalierte ich ein Käsebrot und legte mich dann ins Bett. Meine Gedanken kreisten um Louis
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