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Ich ein Tag sprechen huebsch

Ich ein Tag sprechen huebsch

Titel: Ich ein Tag sprechen huebsch
Autoren: David Sedaris
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wussten, wie überflüssig sie waren.
    Zu Hause hatte meine Mutter mein Abendessen im Backofen warmgestellt. Aus dem Wohnzimmer drang das hilflose Gefiepse von Lisas Flöte. Es klang in etwa so, wie wenn Wind in eine leere Pepsi-Dose pfiff. Unten im Keller übte entweder Gretchen Klavier, oder die Katze jagte über die Tasten einer Motte hinterher. Meine Mutter drehte den Ton am KüchenFernseher lauter, während mein Vater meinen Teller wegschob, mir Joan in den Schoß drückte und mich aufforderte zu spielen.
    »Hört euch das an«, juchzte er. »Ein Haus voller Musik! Mann, ist das großartig. «
    Man konnte ihm bestimmt nicht mangelnde Unterstützung vorwerfen. Seine Begeisterung grenzte an Wahnsinn, ohne dass es ihm gelang, uns anzustecken. Die häuslichen Übungsstunden verbrachten meine Schwestern und ich damit, Kartoffelchips zu futtern, über unsere Instrumente zu fluchen und Vermutungen über das Privatleben unserer Lehrer anzustellen. Auf die eine oder andere Weise waren sie alle schräg, aber mit dem Zwerg hatte ich den Mein-Lehrer-ist-seltsamer-als-deiner-Wettbewerb definitiv gewonnen. Ich fragte mich, wo Mister Mancini wohnte und wen er bei einem Notfall anrufen würde. Kletterte er beim Rasieren auf einen Stuhl, oder war seine Wohnung seinen Bedürfnissen angepasst? Ich betrachtete die Wäschekiste oder die Kühltasche fürs Bier und dachte, wenn nötig, ließe sich Mister Mancini beinahe überall verstecken.
    Auch wenn ich ständig an ihn dachte, war mir jede Ausrede recht, mich vor meiner Gitarre zu drücken.
    »Ich habe alle Übungen gemacht«, sagte ich zu Beginn jeder Unterrichtsstunde, »aber irgendwie flutscht es bei mir nicht. Vielleicht sind meine Finger zu kur-... äh, ich meine, zu winz-... also, vielleicht bin ich nicht koordiniert genug. « Er drückte mir Joan auf den Schoß, griff sich Beth und sagte, ich solle ihm nachspielen. »Stell dir vor, du spielst auf einer Frau aus Fleisch und Blut«, sagte er. »Pack sie einfach am Hals, bis sie aufheult. «
    In seiner Gegenwart war ich starr vor Entsetzen. Erst nachher, wenn ich auf meinen Vater wartete, konnte ich vergessen, dass er mein Lehrer war, und ihn mir als faszinierenden Gnom vorstellen. Als Mensch brachte er mich zum Nachdenken über Dinge, über die ich lieber nicht nachdenken wollte wie etwa das Geschlecht meiner Gitarre. Wenn ich wirklich gerne an einer Frau herumgefingert hätte, hieße das, dass ich dann automatisch auch spielen konnte? Gretchens Lehrer sagte nie was davon, sie sollte sich ihr Klavier als einen Jungen vorstellen. Auch nicht Lisas Flötenlehrer, obwohl gerade in diesem Fall die Analogie quasi auf der Hand lag. Allein der abstruse Gedanke, letztendlich könne alles von sexueller Begierde abhängen, ließ mich einen großen Bogen um Lisas Instrument machen, aus schierer Angst, als musikalischer Wunderknabe entdeckt zu werden. Die sicherste Lösung war, mich auf Gesang zu verlegen und die Instrumente den anderen zu überlassen. Stimmkünstler, genau das war mein Ding. Als ich eines Nachmittags mit meiner Mutter im Einkaufszentrum war, sah ich Mister Mancini in Scottys Futterkrippe, einem Schnellimbiss in der Nähe des Musikladens, mit hocherhobener Hand einen Hamburger bestellen. Manchmal erzählte er davon, sich mittags mit einer Verkäuferin von Jollys Schmucklädchen, »ein echt heißes Gefährt«, zu verabreden, aber an dem Tag war er allein. Um seine Bestellung aufzugeben, musste Mister Mancini sich auf Zehenspitzen stellen, aber selbst dann reichte sein Kopf nicht über die Theke. Die vorbeieilenden Passanten blickten betreten zur Seite, nur ihr Nachwuchs gab sich entschieden direkter. Ein Dreikäsehoch stapfte auf wackligen Beinen auf ihn zu und versuchte, meinen Lehrer mit seinen KetchupPfoten zu umarmen, während eine Gruppe Grundschüler allen Ernstes fragte, ob er gerne für den Weihnachtsmann arbeite. Am übelsten aber war ein Trupp Halbwüchsiger, Jungs in meinem Alter, die um einen großen Tisch saßen. »Geh zurück ins Zauberland Oz, Munchkin«, sagte einer, worauf sich die anderen vor Lachen bogen. Das Tablett in der Hand, nahm Mister Mancini Platz und tat so, als bemerke er sie nicht. Die Jugendlichen brüllten zwar nicht, aber jeder sah, dass sie sich über ihn lustig machten. »Ehrlich, Ma«, sagte ich, »was sind das nur für Monster. « Hinter meiner moralischen Empörung regte sich ein starker Besitzerinstinkt, eine Wut, dass andere sich an meinem ganz persönlichen Zwerg vergingen. Was
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