Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich, die Chronik

Ich, die Chronik

Titel: Ich, die Chronik
Autoren: Vampira VA
Vom Netzwerk:
Kollision mit einem tieffliegenden Vogel, so dachte ich, hatte mich zur Vollbremsung gezwungen. Doch der Anblick, der mich bei der Schadensbegutachtung erwartete und der mich in anderer Situation sicherlich zutiefst erfreut hätte, ließ mir in diesem Moment die Knie weich werden.
    Sie war so Mitte zwanzig, hatte langes rotes Haar und trug, wie bereits erwähnt, keinen Faden am Leib. War dies der Preis für ein streßüberladenes Berufsleben? Mein Therapeut hatte mich ja gewarnt, aber ...
    »Verdammt noch mal«, fluchte die Schöne weiter. »Ich hätte doch nicht ohne Pause durchfliegen sollen. Steh nicht so herum. Hilf mir gefälligst!« Ihre Stimme klang aufgekratzt. Sie sprach mit einem harten, vermutlich osteuropäischen Akzent, den ich näher zu definieren jedoch nicht in der Lage war.
    Nach etwa drei langen Schocksekunden, die mich zur Tatenlosigkeit verdammten, fragte ich: »Haben Sie Schmerzen? Bleiben Sie liegen. Ich werde einen Arzt benachrichtigen.« Ich hatte mein Handy schon gezückt, doch sie winkte mit einer verärgerten Geste ab.
    »Papperlapapp. Ich brauche nur eine kleine Stärkung, das ist alles. Ich würde mich ja gern an dir bedienen, Kleiner, aber ich brauche dich noch. Du fährst mich in die Stadt, klar?«
    *
    »Sie haben die Dame also bei sich einsteigen lassen?«
    »Hätt' ich sie vielleicht liegen lassen sollen? Und auf dem Weg in die Innenstadt haben wir dann Ihren Kollegen getroffen.«
    »Sie meinen den, den wir mit zerfetzter Halsschlagader im Straßengraben gefunden haben?« meinte der Polizist mit herausforderndem Blick. Herrgott, er tat ja gerade so, als konnte ich etwas dafür .
    *
    Das Blaulicht des Motorrad-Cops leuchtete nach etwa fünf Minuten zum ersten Mal in meinem Rückspiegel auf.
    »Ich glaube, der meint uns«, quetschte ich hervor. »Wir hätten nicht so schnell fahren sollen. Sollten wir nicht besser anhalten?« Auf eigenartige Weise fühlte ich mich außerstande, eine solche Ent-scheidung ohne die Zustimmung meiner Beifahrerin zu fällen.
    »Nicht jetzt«, entgegnete sie. »Noch nicht ...«
    Sie wartete, bis der Polizist wild gestikulierend zu uns aufgeschlossen hatte und direkt hinter meinem Wagen fuhr. Im nächsten Moment hämmerte ihr Fuß durch meine Beine hindurch auf die Bremse.
    Die Vollbremsung mußte den Cop unerwartet erwischt haben. Dies zumindest entnahm ich seiner Reaktion, die daraus bestand, über das Dach des Mercedes zu fliegen, und einige Meter vor uns mit einem häßlichen Geräusch auf dem harten Beton der Fahrbahn aufzuschlagen.
    »Sind Sie noch ganz dicht? Was soll das?« fuhr ich das Mädchen an. Doch sie beachtete mich gar nicht, sondern öffnete die Tür, lief zu dem verletzten Beamten und kniete vor ihm nieder.
    Zuerst überkam mich der beruhigende Gedanke, sie wolle ihm zu Hilfe eilen, doch als ich die spitzen Hauer sah, die sie in einer ruckhaften Bewegung in den freigelegten Hals des Mannes schlug, war ich mir dessen nicht mehr so sicher .
    * 
    »Sie hat ihn in den Hals gebissen und sein Blut getrunken?« Die Augen des Uniformierten quollen fast aus ihren Höhlen.
    »Es kommt noch besser«, winkte ich ab. »Hören Sie zu ...«
    Der andere der beiden Cops war zur Seite getreten und nuschelte irgendwelche Anweisungen in sein Funkgerät. Ins Gefängnis würde ich nicht kommen, soviel war mir inzwischen klar geworden. Ein hübsches kleines Zimmer mit gepolsterten Wänden kam der Sache schon näher .
    *
    Die Gelassenheit, mit der ich das Gesehene an mir vorüberziehen ließ, überraschte mich selbst. Tief in mir hörte ich eine flüsternde Stimme, die mir dazu riet, die seltsame Frau schleunigst loszuwerden. Doch als hätte sie eine unsichtbare Fessel um meinen Willen geschlungen, schien es mir unmöglich, entgegen ihren Anweisungen zu handeln.
    Die Tankstelle war unser nächstes Ziel. Warum uns der Kassierer anstarrte, als kämen wir von einem anderen Stern, wurde mir erst im Nachhinein bewußt. Die Tatsache, daß meine Begleiterin noch immer keinen Faden am Leib trug, erschien mir inzwischen als das Normalste überhaupt.
    »Ähm ... Sie wünschen?« stammelte der arme Mann, der solch ein Gespann wohl noch nie erlebt hatte.
    »Einmal volltanken, bitte.«
    »Wir . ähm . haben hier Selbstbedienung .«
    »Ausgezeichnet«, meinte das Mädchen knapp, packte den etwa Vierzigjährigen am Kragen seines verwaschenen Grateful-Dead-T-S-hirts und zog ihn mit einer lässigen Bewegung auf die andere Seite der Verkaufstheke. Bevor ich es verhindern konnte,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher