Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich - der Augenzeuge

Ich - der Augenzeuge

Titel: Ich - der Augenzeuge
Autoren: Ernst Weiß
Vom Netzwerk:
Haar und entschloß sich dann zu einem gedrückten Lächeln. Oft besah sie sich im Spiegel. Es kam mir beinahe vor, als hätte sie begonnen, sich Mühe zu geben, weniger zu lachen, weniger zu husten, weniger zu sprechen. Wenn ich sie in meiner kindlichen Art, sicherlich ohne das rechte Geschick dazu, aufheitern wollte, verzerrten sich sogar ihre sonst so sanften Züge. Oft schien es mir, als reize es sie unten in der Brust oder oben in der Kehle zum Husten, sie griff sich dann an den Mund, als wollte sie sich Stillesein gebieten.
    Mein Vater machte trotz des ungünstigen Wetters kleine Bergtouren und kehrte abends in seinen von Nässe geradezu dampfenden Lodenkleidern, aber in bester Laune zurück, den Tirolerhut mit einer seltenen Blume geschmückt, wie sie dort in den Höhen zu finden ist. Meine Mutter nahm seine Küsse geduldig entgegen. Nachher aber sah ich, wie sie sich den Mund mit einem ihrer kleinen Batiststücher abtrocknete, wobei sie einen besonders starken Hustenreiz nur mit großer Anstrengung überwand. Ich dachte, sie wische sich die Lippen ab, weil der Mund, der Bart meines Vaters vom Regen so feucht gewesen War. Erst später verstand ich es. Übrigens wiederholte sich dies nicht mehr oft. Am nächsten Tage brach nach einem nebligen Morgen die Sonne durch, bald senkten sich die Nebel, wie immer, wenn sich das Wetter bessert, die See schlug kräftige blaugraue Wellen, hier und dort silbrig aufblitzend, der Wind zog herb und stark, und nachmittags war es bereits so trocken, daß wir den Kaffee im Freien trinken konnten unter einem der verwilderten Apfelbäume, die schon voller winziger, steinharter, giftgrüner Früchte steckten, die niemals reif und süß werden sollten; das heißt, reif wurden sie auf ihre Art, genießbar aber nie, und selbst die Hausfrauenkünste meiner Mutter, die aus ihnen unter Zugabe von Unmassen Zucker eine Art Mus bereiten wollte, sind daran gescheitert. Ich blieb diesen schönen Tag bei ihr, obwohl es mich natürlich sehr lockte, in den Ort, an den See, in den Wald oder zum Moor zu laufen. Es war eigentlich einerlei, wohin ich rannte. Es pochte mir in allen Adern vor Lebensfreude und Übermut. Ich war monatelang ans Bett gefesselt gewesen, jetzt war ich ganz gesund, bloß eine dicke, aber schmerzlose harte Anschwellung auf der rechten Seite des Rückens zeigte die Stelle an, wo mich das Pferd getreten hatte. Auch den nächsten Tag verbrachte ich bei meiner Mutter, von ihrer Blässe und Müdigkeit beunruhigt. Wir spannten gemeinsam eine alte, schon etwas löchrige Hängematte an knarrenden Hanfseilen zwischen einem der besagten Apfelbäume und einem uralten Birnbaum aus, der überhaupt nichts mehr trug.
    Wir gaben uns Mühe, die Mahnungen meines Vaters zu befolgen und die Rinden durch die Seile nicht zu schädigen. Meine Mutter bettete sich, so gut sie konnte. Da aber die eine Seite der Hängematte etwas herabglitt und ihr Kopf recht tief lag, holte ich, während sie in unruhigem Schlummer lag, aus ihrem Schlafzimmer ein Kissen. Als ich die Bettdecke abgehoben und die Kissen aufgenommen hatte, fiel mir ein zerknäultes Batisttüchelchen in die Hände. Es zeigte rostrote Blutspuren. Ich hatte sofort erfaßt, was es war, und das Zermalmende kam wieder über mich.
    Ich wollte meiner Mutter nicht zeigen, daß ich wußte, warum sie so verändert war. Ich machte Ordnung in ihren schneeweißen glatten Kissen und Decken, so gut, daß sie am Abend nicht merkte, daß jemand sich mit dem Bett zu schaffen gemacht hatte. Ich kehrte ohne Kissen zu ihr zurück. Sie war bereits wieder wach und schien mir ungeduldig. Ich versuchte nun nicht mehr, etwas aus ihr herauszulocken, was sie, doch sicher nur aus Liebe zu mir, so beharrlich mir verschwieg. Sie hatte Angst um ihr Leben. Sie war immer schon schwach auf der Lunge gewesen, und die Aufregung um mich hatte ihr geschadet. Ich ging sogar weiter. Als sie mich bedrängte, ich solle die schöne Zeit ausnützen und schwimmen gehen (sie hatte im Augenblick vergessen, daß es mir verboten war), gab ich ihr nach und tat, als könne ich mich vor Freude nicht lassen. Das war es, was sie gewollt hatte. Sie wollte allein sein, vielleicht hielt sie vollständige Ruhe und frommes Beten für die beste Hilfe.
    Mein Vater machte sich damals den Spaß, rudern zu lernen. Natürlich konnte er von jeher einen gewöhnlichen Kahn mit oder ohne Rollsitz rudern. Was ihn reizte, war, einen der plumpen, viele Meter langen flachen Holzkähne der Fischer zu rudern, was
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher