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Ich bin verboten

Ich bin verboten

Titel: Ich bin verboten
Autoren: Anouk Markovits
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die Hannah mit eng geschriebenen jiddischen Zeilen gefüllt hatte: ungeschickte Briefe, in denen eine Tochter angefleht wurde, in ihr jüdisches Zuhause zurückzukehren, in denen eine Tochter angefleht wurde, an eine Mutter zu denken, die sich so sehr danach sehnte, ihr Kind ans Herz zu drücken. Atara wischte sich die Nase und die Augen. Hannah hielt die Hand ihrer Tochter fest umklammert und summte vor sich hin: Einen Brief an deine Mutter … schicke ihn mit der Eilpost … einen kurzen Brief an deine Mutter, mein Kind … wir haben einen ausgezeichneten Chassiden für dich …
    Hannahs Augen warteten noch immer darauf, dass Atara zurückkam, vor dem Ende wollten sie noch sehen, dass Atara den Herrn um Vergebung bat und gelobte, Sein Gesetz fortan zu befolgen.
    Und so weinte der Fluss auf der Fensterscheibe, beweinte die Unmöglichkeit der Rückkehr.
    Etti eilte ins Zimmer; Zalman war auf dem Heimweg.
    Atara küsste Hannah die Wangen und die Hand, dann verließ sie deren Krankenbett und versuchte, Zalman nicht den Tod zu wünschen. Sie ging in den Jardin du Luxembourg und suchte den Spielplatz ihrer Sommer mit Mila auf. Steinfalten umhüllten die Marmorbrüste der französischen Königinnen, die um das Wasserbecken herum Wache standen, das sie mit Mila auf dem Fahrrad umrundet hatte.
    Die Senatsuhr schlug die Viertelstunde.
    Hätte sie um Mila kämpfen sollen? Hätte sie darauf bestehen sollen, dass Mila mit ihr in die Bibliothek kam? Doch wer hätte Hannah und Zalman getröstet, wenn Mila ebenfalls gegangen wäre?
    Hätte sie gegen Judiths Willen um Judith kämpfen sollen?
    Das Geräusch einer Harke, die den Kies durchrechte, beruhigte Ataras Verwirrung. Die Harke zog Stille hinter sich her. In der Schubkarre sammelte sich Herbstlaub.

2007
    Siebenbürgen
    Schon lange hatte Atara sich diese Pilgerfahrt vorgenommen. Sie wollte sehen, wie es dort drüben war, ohne Juden, hatte das Bedürfnis, deren Abwesenheit zu spüren.
    Sie hatte Mila von der geplanten Reise erzählt, und Mila hatte ihr die Brosche mitgegeben, die Josefs Mutter gehörte.
    Atara rief Mila an. »Wie kann ich sie finden?«
    Mila beschrieb eine Pferdeweide an einem Bahngleis, das einem Fluss folgte, eine Linde an einem Holztor, einen Hühner- und einen Kuhstall.
    »Aber gehört hast du nie von ihr?«, fragte Atara.
    »Wir haben Pakete geschickt. Jahrelang bin ich zum Briefkasten gelaufen und habe gehofft, einen Brief von Florina zu finden, um Josef, möge er ruhen in Frieden, mit der guten Nachricht begrüßen zu können. Es ist nie ein Brief angekommen. Wir haben Pakete geschickt, bis jemand, der gerade aus Rumänien emigriert war, Josef erzählte, dass es vielleicht keine gute Idee war: In Ceauşescus Rumänien würde man Florina womöglich wegen ihrer Westkontakte befragen. Josef war außer sich vor Sorge. Ich versuchte ihn damit zu beruhigen, dass die Pakete sicher von korrupten Zollbeamten konfisziert worden seien und Florina nicht einmal wusste, dass wir sie geschickt hatten. Wir haben ja nie von ihr gehört.«
    »Ich habe deinen Vater auf eine Pilgerfahrt zum Grab des Rebbe in Upstate New York begleitet«, fügte Mila hinzu, nachdem sie Atara eine gute Reise gewünscht hatte. »Ich habe gesehen, wie er deinen Namen, Eydell Atara, mit auf den Zettel schrieb, den er unter den Grabstein geschoben hat. Er hat deinen Namen oben auf die Seite geschrieben, weil du seine Erstgeborene warst, dann hat er die Namen deiner Geschwister hinzugefügt. Er hat dich zu seinen Kindern gezählt, für die er den Herrn um Güte und Erbarmen bat.«
    *
    Draußen heulte der Wind. Atara stand nah beim offenen Fenster im schmalen Gang. Der Zug in Richtung Osten ratterte durch Städte, die einmal ein Zuhause waren: Warschau, Prag, Wien, Budapest … Sie hatte sich blauschwarze Ziffern vorgestellt, die unauslöschliche Narben in das Land gebrannt hatten, doch anscheinend hatten nur die Menschen Narben davongetragen.
    An Bahngleisen, die nach Dreck, Metall und Urin stanken, summte sie Hannahs Lieder; auf den abgenutzten Bänken europäischer Marktplätze summte sie alte Melodien, um gebrochene Herzen zu übertönen und sie weiterschlagen zu lassen: Es brennt, Briderle, es brennt ... Leise sang sie für die Seelen, die noch an den Ufern herumgeisterten, verlorene Seelen, die keine Spuren ihrer Existenz mehr fanden. Die Töne schwebten empor über Plätze, auf denen es keine Juden mehr gab, während Atara schon in den nächsten Zug stieg, der sie zu weiteren ausgelöschten
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