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Ich bin verboten

Ich bin verboten

Titel: Ich bin verboten
Autoren: Anouk Markovits
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    Judith lief die Eingangstreppe hoch und verschwand im Haus.
    Mila und Atara umarmten sich. Ihre Körper erinnerten sich, dass sie einmal ein Bett geteilt hatten, und das Kind in jeder der beiden Frauen hielt die jeweils andere fest umschlungen.
    Mila schmiegte den Kopf an Ataras Schulter und wischte sich die Tränen weg. »Wie geht es ihr? Was hat sie vor?«
    Atara streichelte Milas Schulter und trocknete die eigenen Tränen. »Sie braucht Zeit.«
    »Nächste Woche ist die Hochzeit.« Mila nickte vorbeigehenden Nachbarn auf dem Weg zur Synagoge zu. Ihre Hand fuhr zu Ataras Stirn hoch, steckte eine Haarsträhne zurück unter den Schal und stellte dann den Kragen von Ataras Kleid auf. »Soll ich dir ein Halstuch holen?«, flüsterte Mila mit einem dünnen Lächeln. »Ich glaube, ich habe eins, das zu deinem Kleid passt.«
    Judith erschien in der Haustür. »Sejde ist nicht in seinem Studierzimmer?«
    »Juditka, dein Sejde Josef ist in der Schul. Er wollte ganz früh dort sein, um sich vor der Ankunft der anderen nach vorne schieben zu lassen. Ich habe ihn hingebracht und bin dann schnell heimgelaufen, um hier zu sein, wenn … wenn du wiederkommst. Kommt mit ins Haus und lasst uns frühstücken.«
    Judiths Unterlippe zitterte. Sie zögerte einen Moment, dann lief sie die Eingangstreppe wieder hinab.
    Mila streckte die Hand aus. »Bleib bei uns, Juditel, bleib noch ein bisschen bei uns. Warte! Warte auf uns! Wir gehen gemeinsam zur Schul.«
    Judith wandte sich von ihrer Großmutter ab, deshalb hakte sich Atara mit der einen Hand bei Judith unter und mit der anderen bei Mila. Sie gingen zusammen, als gehörten sie zur selben Familie und ins selbe Leben, gingen zusammen die paar Blocks zu dem Ort, an dem man das Fest der Gesetzesfreude feierte, und Mila erlaubte sich die Hoffnung, dass die Männer Judith doch noch zum Hochzeitsbaldachin tanzen würden.
    Atara nahm sich vor, Mila zu erklären, dass der erste Schritt zu einer Entscheidung für Judith über eigenständiges Denken führen würde, weshalb es vielleicht gut für sie wäre, Williamsburg eine Weile zu verlassen. Wenigstens für ein paar Tage würde Mila das doch arrangieren können. Vielleicht könne das Mädchen Atara noch an diesem Abend in ihr Loft zurückbegleiten, dann würden sie umgehend zu ihrem Haus auf dem Land aufbrechen.
    Atara flüsterte Judith zu, dass sie auf sie warten würde, und erinnerte sie an den Schlüssel in ihrer Jackentasche.
    Mila, Atara und Judith bogen in die von Kinderwägen vollgestellte Straße, in der sie Trauben von Müttern herumstehen sahen. In dem Moment ging Atara auf, dass sie gleich vielleicht ihren Vater sehen würde. Ihr Herz klopfte schneller. Nach dem Gottesdienst würde sie einen kleinen Jungen zur Seite nehmen und ihn mit der Nachricht zu Zalman schicken, dass seine Tochter Atara auf der Frauenempore sei und ihm einen schönen Feiertag wünschen wolle. Vielleicht würde Zalman nach ihr rufen lassen, vielleicht erklärte sich Zalman einverstanden, sie zu sehen, sie würden voreinander treten, und sie würde ihrem Vater die Hand küssen, als käme sie von einer langen Reise zurück …
    Nachdem Atara ihren ersten Film gedreht hatte und sich in ihrem neuen Leben sicherer fühlte, hatte sie Hannah ihre Telefonnummer geschickt. Mitten in der Nacht hatte das Telefon geklingelt. Es war Zalman, der Fragen stellte und befahl, dass Atara Buße tun und in »unser chassidisches Zuhause« zurückkehren solle. Bei dem Wort »Zuhause« hatte Atara zu schluchzen begonnen, trotzdem konnte sie Zalman nicht die erwünschte Antwort geben. Es gab keinen Weg zurück. Daraufhin war Zalman wütend geworden. Er hatte sie verflucht und sie eine zonah (Hure) genannt. Atara hatte den Finger auf die Gabel gelegt. Klick. Eine tote Leitung. Sie sollte es siebenunddreißig Jahre lang bleiben.
    Es hatte Zeiten gegeben, in denen Atara überlegte, ob sie einfach vor der Tür ihrer Eltern auftauchen sollte. Es waren die Momente, in denen sie glauben wollte, die Eltern würden sich über ihren Anblick freuen, selbst wenn sie den Verdacht hegten, dass sie womöglich den Sabbat nicht einhielt. Falls sie nachfragten, würde sie lügen, in der Annahme, es ihnen damit leichter zu machen. Es hatte Zeiten gegeben, in denen Atara das Gefühl brauchte, ihre Eltern würden sich genauso danach sehnen, ihre Stimme zu hören, wie sie sich danach sehnte, die Stimmen der Eltern zu hören. Doch wenn Atara es über ihre jüngeren Geschwister versucht hatte,
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