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Ich bin kein Berliner

Ich bin kein Berliner

Titel: Ich bin kein Berliner
Autoren: Kaminer Wladimir
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werden sie gerne von Nationalisten getragen, weil Deutschland Kroatien als erstes Land anerkannt hat. In Serbien werden sie aber auch gerne getragen, weil Deutschland die Amerikaner nicht unterstützt und keine Bundeswehr in den Irak schickt. Nach Mittelasien kommen sie wahrscheinlich über Afghanistan, wo die Deutschen stationiert sind. Und in Russland werden sie geschätzt, weil sie »eine gute Farbe haben und sehr preiswert sind«, wie mir ein Freund berichtete. Auch in Afrika werden sie wahrscheinlich massenhaft getragen, weil Humana es so will.
    Deren Container haben jedoch eine starke Konkurrenz durch Internetauktionen bekommen. Dort versteigern schon Zwölfjährige ihre besten Stücke. Als die Tochter unserer Freunde neulich anfing, ihre CD-Sammlung über eBay zu verkaufen, kam das erste Angebot aus einer Bundeswehrkaserne. Das wirft natürlich neue Fragen auf: Was macht ein Soldat mit einer Blümchen-CD? Will er mit dieser Musik seine Feinde auf dem Schlachtfeld demütigen? Und wer steckt heute in seiner Jacke?
    TIPP:
    Berlin war einmal die deutsche Modestadt, deren Zentrum sich rund um den Hausvogteiplatz befand. Mit der Vertreibung und Vernichtung der europäischen Juden war es damit zu Ende, auch wenn die DDR versuchte, dort selbiges wieder zu etablieren. Seit 1989 gibt es aber erneut Bestrebungen, Modedesigner nach Berlin zu locken – unter anderem mit Fashionshows. In der Kreuzberger Schlesischen Straße hat sich eine Modedesignerin mit einem Schnitzel Shop niedergelassen und in den Hackeschen Höfe in Mitte Lisa D. Gleich um die Ecke in der Neuen Schönhauser Straße gibt es den Herren-Designerladen Respectmen . Daneben verfügt die Stadt über viele ausgefallene Secondhandläden und jede Menge Trödelmärkte. Erwähnt seien der Laden Ave Maria – für schrille Klamotten und katholische Paraphernalia in der Potsdamer Straße und die Trödelmärkte an der Straße des 17. Juni, an der Museumsinsel, am Arkonaplatz und im Mauerpark Prenzlauer Berg.

    Berliner Gastronomie
    Unsere Freundinnen Katja und Irina kommen aus Weißrussland und studieren seit zwei Jahren Journalistik an der Uni. Die notwendige Lebenserfahrung für ihre zukünftige journalistische Arbeit sammeln sie als Kellnerinnen in einem Restaurant am Wittenbergplatz. Das Restaurant steht für »traditionelle deutsche Küche mit Stil« und ist nie leer. Auf seiner großen Terrasse verzehren die letzten Altberliner ihre Nürnberger Rostbratwürstchen mit Sauerkraut und bestellen dazu Kaffee mit Apfelkuchen.
    Seit einiger Zeit ist das Lokal allerdings durch ungezähmte Touristenhorden gefährdet. Immer mehr Busse mit Berlinreisenden machen vor dem Restaurant Halt. Die Gäste der Hauptstadt wollen die traditionelle deutsche Küche mit Stil kosten. Ihr übertriebenes Interesse hat zur Folge, dass diese eigentlich anständige Gaststätte sich immer mehr in eine Touristenattraktion verwandelt. Die Fremden wollen ständig unterhalten werden. Mit einem Stück Kuchen und einer Wurst gibt sich keiner zufrieden. Am meisten Ärger haben die Kellnerinnen mit den Japanern. Diese halten die traditionelle deutsche Küche des Lokals für eine weitere Sehenswürdigkeit der Hauptstadt. In immer neuen Schüben kommen sie angerollt und wollen sich mit einer Portion Eisbein fotografieren lassen. Sie sind von der Größe und Unappetitlichkeit des Gerichts fasziniert, alles Barbarische zieht sie an. Die Japaner zeigen mit dem Finger auf den Teller und rufen laut »Ai«, was auf Deutsch »Guck mal, was für ein Ding!« bedeutet. Dabei lächeln sie begeistert in die Kamera. Die Kellnerinnen müssen die Schnappschüsse machen. Dafür bekommen sie ein gutes Trinkgeld und die Eisbeinportion zurück. Auf die Idee, das Ding zu essen, kommen die Japaner nicht. Der Koch ist darüber natürlich beleidigt. Kaum landet das Gericht wieder in der Küche, schon wird eine neue Portion von neuen japanischen Touristen zum Fotografieren bestellt. Die Altberliner auf der Veranda schütteln darüber nur die Köpfe.
    »Diese Ausländer«, sagen sie immer wieder zu Katja und Irina. »Haben die alle eine Meise, oder was?«
    »Das kann man wohl sagen«, bestätigen die beiden Mädchen.
    Inzwischen hat der Koch eine clevere Lösung zur Rettung seiner Kochkunst gefunden: Er kreierte einfach ein mehrmals einsetzbares überdimensionales Eisbein, das auch nach Wochen noch fotogen ist. Sein Meisterwerk wurde von den Kellnerinnen sofort als »Japsbein« bezeichnet und wird immer wieder nach Bedarf zu
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