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Ich bin kein Berliner

Ich bin kein Berliner

Titel: Ich bin kein Berliner
Autoren: Kaminer Wladimir
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zweit aus der Küche herausgetragen. Die Touristen sind glücklich, das Trinkgeld hat sich beinahe verdoppelt.
    Dennoch sind die Probleme damit noch nicht für immer vom Tisch. Letztens kam ein Japaner in das Restaurant und erkundigte sich bei Katja auf Englisch, ob er seine fünfundvierzig Kinder bei ihnen abfüttern könne. Katja dachte zuerst, dies sei ein japanischer Touristenwitz, und nickte freundlich mit dem Kopf. Aber dann kamen sie tatsächlich: fünfundvierzig hungrige japanische Schüler. Sie nahmen auf der Veranda Platz. Ihr Gruppenführer bestellte Wurst mit Sauerkraut für alle, denn es waren anscheinend die einzigen Wörter, die er auf Deutsch beherrschte.
    Katja schlug dem Gruppenleiter zuerst vor, die Kinder im Imbiss nebenan abzufüttern. Davon wollte der aber nichts wissen. »Wurst und Sauerkraut«, wiederholte er immer wieder. Die Küche musste für alle anderen Gäste schließen. Das gesamte Personal des Lokals machte sich an die Arbeit.
    Die Nürnberger Würste werden in dem Restaurant stets in riesengroßen Bratpfannen serviert, und nach ungefähr anderthalb Stunden kamen nun also fünfundvierzig Pfannen auf den Tisch. »Ai«, sagten die japanischen Kinder im Chor und zogen sofort ihre Fotoapparate aus den Rucksäcken. Die weißen, Fett spritzenden Würstchen wurden von allen Seiten wie wild fotografiert. Danach packten die Kinder ihre Kameras wieder ein und wollten etwas zu essen bestellen. Nach langem Hin und Her verließ die Gruppe das Lokal, jeder mit einem kostenlosen Stück Apfelkuchen in der Hand. Der Koch saß auf fünfundvierzig Wurstpfannen und war außer sich vor Wut.
    »Wenn jemand heute noch ein einziges Würstchengericht bei mir bestellt, dann haue ich ihm sofort eine aufs Maul«, verkündete er laut auf der Veranda. Die Altberliner, die dort saßen, versuchten, ihn zur Vernunft zu bringen.
    »Das sind doch nur hungrige Kinder. Was verstehen die schon von Kochkunst«, sagten sie.
    »Ah ja«, rebellierte der Koch weiter. »Dann sollen sie sich zu Hause ein paar Reis-Rollmöpse auf Vorrat einstecken, bevor sie verreisen. Lieber koche ich für hungrige Kinder aus Afrika! Die sind bestimmt nicht so heikel wie die Japaner.«
    Der Koch wütete noch eine Weile, kippte dann schließlich zur Beruhigung drei Jägermeister in sich hinein und ging nach Hause. Am nächsten Tag hängte er ein Schild draußen auf: »Heute nur Kaltgerichte«. Es half nichts. Die fünfundvierzig japanischen Kinder tauchten erneut auf.
    »Nein, nicht schon wieder!«, regte sich der Koch auf.
    »Es sind nicht die von gestern, das sind andere«, beruhigten ihn die Kellnerinnen.
    Also stellte er sich grummelnd wieder an den Herd.
    TIPP:
    In Wirklichkeit ist die moderne deutsche Küche in der Lebensmittelabteilung des KaDeWe bestens aufgehoben. Noch vor sechzehn Jahren machte das Kaufhaus Werbung für sein schier endloses Sortiment, in dem es jedem eine Geldprämie versprach, der irgendetwas verlangte, was sie nicht hatten. Viele meiner Landsleute versuchten ihr Glück, indem sie dort nach Trockenfisch und rotem Meerrettich fragten – vergeblich. Sie bekamen beides sofort, wenn auch zu einem wahnsinnig überteuerten Preis. Heute treffen sich dort zwar keine russischen Freizeitprostituierten zum Männerfang, wie von der Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer berichtet, dafür jedoch thailändische Profiprostituierte, die sich nach der Arbeit am frühen Vormittag hier mit frischen Muscheln stärken.

Berlin ist eine Kneipe
    Eigentlich darf ich nicht mehr über Berlin schreiben. Oft genug wurde ich von meinen hiesigen Freunden angewiesen, keine Werbung für diese Stadt zu machen. Letztens, als ich in einer Fernsehsendung in der Schweiz von unserer Tanzveranstaltung »Russendisko« im Berliner Kaffee Burger erzählte, geriet der Geschäftsführer des Burger in Panik.
    »Jetzt kommen die Schweizer! Jetzt kommen auch noch die Schweizer!«, fasste er sich an den Kopf. Er beschuldigte die Schweizer, sie würden eine Stunde brauchen, um ein kleines Bier zu konsumieren, und wenn es um Trinkgeld ginge, dann machten sie einen auf toten Käfer. Am liebsten würde er allein in seinem Laden sitzen und Fußball gucken.
    Im letzten Sommer landete das Kaffee Burger in verschiedenen Hauptstadt-Reiseführern, in denen es als »ein Ort zum Flirten und Kennenlernen – mit Frauenüberschuss« bezeichnet wurde. Busweise kamen männliche Touristen aus der ganzen Welt an. Sie fragten: »Hat hier Honecker gegessen?« und fotografierten sich
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