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Ich bin kein Berliner

Ich bin kein Berliner

Titel: Ich bin kein Berliner
Autoren: Kaminer Wladimir
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Bildern in der Fremde zu forschen: Jeder Ausländer, der hierherkommt, wird einem Verhör unterzogen. Im Ausland werden parallel dazu groß angelegte Untersuchungen durchgeführt, um festzustellen, was der eine oder andere dort von Deutschland hält. Die Ergebnisse sind so lala. Kaum jemand will die deutschen Leistungen in den Bereichen Kultur, Freizeit und Sport würdigen, auch nicht die deutschen Errungenschaften in der Wissenschaft und die exotische deutsche Küche. Stattdessen kommen in den Vorstellungen der Ausländer über Deutschland immer wieder Hitler, das Bier und die Ordnung vor. Wenn die Deutschen im Ausland gelobt werden, dann stets von den Falschen und für Taten, die das Land selbst am liebsten schnell vergessen würde. Die Iren verlieren manch gutes Wort über die Deutschen, weil sie einst England bombardiert haben; die Araber würdigen sie für den Versuch, die jüdische Bevölkerung auszurotten; die Japaner sehen den Deutschen gerne im Fernsehen beim Jodeln zu; und die Russen halten die deutschen Pornofilme für die härtesten der Welt. Ich habe sie selbst nicht gesehen, man hat es mir erzählt.
    Die meisten Ausländer schöpfen jedoch ihre Informationen über Deutschland aus alten Kriegsfilmen. Eine Bekannte, die als selbstständige Reiseunternehmerin Touristengruppen durch Berlin führt, erzählte mir neulich, dass sie für die deutschen und ausländischen Gäste zwei völlig unterschiedliche Reiserouten hat. Den Deutschen zeigt sie, wo Marlene Dietrich heiratete und in welcher Kneipe Ringelnatz seine Gedichte schrieb. Auf Englisch erzählt sie, wo Himmler seine Brötchen holte und wo Goebbels’ Zahnarzt praktizierte. Diese Informationen entsprechen den alten Filmklischees, die noch immer das Deutschlandbild der Amerikaner, Briten und Franzosen prägen. Der Gerechtigkeit halber muss ich sagen, dass die Filmklischees nicht immer falsch liegen. So hatte ich lange Zeit als leidenschaftlicher Anhänger des amerikanischen Actionkinos eine bestimmte Vorstellung von den Vereinigten Staaten. In meinem Amerika flippten die Bürger ständig aus, sie schossen mit Gewehren um sich, konsumierten tonnenweise Drogen, wurden blitzschnell steinreich oder umgekehrt sauarm, sie fuhren alte und neue Autos zu Schrott, rappten in Gefängniszellen und führten gerne Kriege in fernen Ländern. Nun habe ich Amerika endlich persönlich bereist und kann sagen, meine Klischees haben sich im Wesentlichen bestätigt.
    Im russischen Fernsehen ist das Deutsche zurzeit dank der Bierwerbung für die Marke Bavaria präsent, obwohl dieses Bier nicht aus Deutschland, sondern aus St. Petersburg kommt. In dem Werbespot sieht man einen älteren Mann hinter einem großen gefüllten Bierglas sitzen und nachdenken. Ein jüngerer, möglicherweise der Sohn des Biertrinkers, klopft ihm auf die Schulter und fragt: »Na, Alter, alles in Ordnung?«
    »Alles wie in Bayern!«, antwortet der Alte und kneift ein Auge zu.
    Das tue ich an dieser Stelle auch. Die Ordnung überlassen wir aber den Bayern, denn in diesem Buch soll es eigentlich nur um Berlin gehen.
     
    TIPP: {}
    Als Ausgehtipp möchte ich Ihnen den Alexanderplatz empfehlen, besonders das Polizeipräsidium dahinter. Dort werden keine Aufenthaltserlaubnisse mehr erteilt, sondern in Polen gebaute deutsche Autos TÜV-geprüft. Daneben gibt es dort auch noch einen Fahrrad-TÜV. Außerdem befindet sich unter der S-Bahnbrücke noch die kleinste Schwulenkneipe Berlins – die Besenkammer. Und im Foyer des Fernsehturms steht ein Zauberautomat, der das Schicksal eines jeden anhand einer bloßen Unterschrift ausspuckt – gegen eine geringe Gebühr. Das Geschäft wurde vor sechzehn Jahren von den faulen Russen gegründet, auf der Suche nach Möglichkeiten, ohne Arbeit reich zu werden.

    Berlins Geschichte in Kürze
    Vor langer, langer Zeit, als die Grenzen Europas noch nicht festgelegt waren, tummelten sich zwischen Elbe und Oder verschiedene Stämme auf der Suche nach einer gemütlichen Bleibe. Aus dem Osten und Süden kamen welche, die einem Affenkult anhingen, es drängte sie stets, auf Bäume zu klettern. Aus dem Norden und Westen drangen kriegerische Stämme in das Gebiet ein, denen Bären heilig waren und die deswegen vier Monate im Jahr in Winterschlaf fielen. An der Stelle des heutigen Berlins stießen diese Stämme aufeinander. Ihre Kämpfe dauerten an, weil die einen sich stets auf den Bäumen in Sicherheit brachten und die anderen immer wieder einschliefen. Als sie nach Jahren merkten,
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