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Ich Bin Gott

Titel: Ich Bin Gott
Autoren: Giorgio Faletti
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Seite.
    Trotz allem war er zurückgekehrt. Er hatte überlebt und konnte noch atmen und sehen, doch er würde nie wieder den Wunsch haben, angesehen zu werden. Die Welt reichte für ihn nicht mehr über den Rand seines Schattens hinaus, und als Strafe würde er immer weiterlaufen, bis ans Ende der Welt. Er würde fliehen, verfolgt von etwas, das an seinem Rücken klebte wie ein Plakat an einer Wand.
    Hinter ihm in einem Ledersessel saß Colonel Lensky, der Militärpsychiater, eine freundliche Person in einer Position, die Widerstand herausforderte. Seit Monaten, vielleicht seit Jahren, nein, seit Jahrhunderten trafen sie sich in diesem Zimmer, in dem der leicht rostige Geruch, den jede militärische Einrichtung ausströmt, weder aus der Luft noch aus der Erinnerung zu verbannen war. Auch wenn es sich nicht um eine Kaserne, sondern um ein Krankenhaus handelte.
    Der Colonel war ein Mann mit schütterem braunem Haar und einer ruhigen Stimme, und man würde ihn eher für einen Kaplan als für einen Soldaten halten. Manchmal trug er seine Uniform, meist aber war er in Zivil. Unauffällige Kleidung, neutrale Farben, unscheinbares Gesicht. Er gehörte zu jener Sorte Mensch, die man sofort wieder vergisst.
    Die man sofort wieder vergessen will.
    Im Übrigen hatte er in all dieser Zeit die Stimme des Colonels häufiger gehört, als er dessen Gesicht gesehen hatte.
    » Morgen kannst du also gehen.«
    In diesen Worten schwang die Endgültigkeit des Abschieds mit, aber auch unendliche Erleichterung und unerbittliche Einsamkeit.
    » Ja.«
    » Bist du bereit?«
    Nein!, hätte er gerne geschrien. Ich bin nicht bereit, so wie ich auch nicht bereit war, als alles angefangen hat. Ich bin es jetzt nicht, und ich werde es nie sein. Nicht nach all dem, was ich gesehen, nicht nach all dem, was ich erlitten habe und was mein Körper und mein Gesicht …
    » Ja, ich bin bereit.«
    Seine Stimme klang fest. Oder zumindest kam es ihm so vor, als er diesen Satz aussprach, diesen Satz, der ihn dazu verdammte, wieder in die Welt hinauszugehen. Colonel Lensky würde es in jedem Fall so empfinden. Als Mann und als Arzt würde er lieber glauben wollen, er habe seine Aufgabe erledigt, als zuzugeben, dass er versagt hatte. Deswegen war er bereit, ihn zu belügen, wie er auch sich selbst belog.
    » Sehr gut. Ich habe die Papiere schon unterschrieben.«
    Er vernahm das Quietschen des Sessels und das Rascheln der Tuchhose, als der Colonel sich erhob. Corporal Wendell Johnson richtete sich auf und blieb noch einen Moment sitzen. Jenseits des offenen, auf den Park hinausgehenden Fensters rahmten die grünen Baumwipfel ein Stückchen Himmel ein. Von hier aus konnte er nicht sehen, was er sicher gesehen hätte, wenn er direkt am Fenster gestanden hätte: Männer wie ihn, die auf Bänken oder in Rollstühlen saßen, im Schatten der Pflanzen standen oder sich zittrig vorantasteten, was dann als Selbstständigkeit bezeichnet wurde.
    Bei ihrer Abreise hatte man sie Soldaten genannt.
    Nun hießen sie Veteranen.
    Ein glanzloses Wort, das kein Interesse weckt, sondern Schweigen hervorruft.
    Ein Wort, das bedeutet, dass sie überlebt hatten und der vietnamesischen Hölle entronnen waren, in der keiner wusste, welche Schuld er eigentlich verbüßte, aber sehr wohl erfuhr, wie die Buße aussah. Sie waren Veteranen. Jeder von ihnen trug mehr oder weniger offensichtlich an der Last seiner persönlichen Erlösung, die in den Mauern des Militärkrankenhauses begann und endete.
    Colonel Lensky wartete, bis Wendell aufgestanden war und sich umgedreht hatte, dann ging er auf ihn zu, streckte ihm die Hand hin und sah ihm in die Augen. Corporal Johnson spürte, wie viel Anstrengung es sein Gegenüber kostete, den Blick nicht abschweifen zu lassen und auf die entstellenden Narben in seinem Gesicht zu starren.
    » Viel Glück, Wendell.«
    Es war das erste Mal, dass der Arzt ihn beim Vornamen nannte.
    Ein Name ist nicht unbedingt eine Person, dachte er.
    Namen gab es viele hier, zum Beispiel auf den mit der Präzision eines Uhrmachers aneinandergereihten weißen Grabkreuzen. Das änderte aber nichts. Es würde nichts nützen, diese Jungs wieder lebendig zu machen und von ihren leblosen Körpern die Nummern zu entfernen, die sie wie Medaillen zu Ehren verlorener Kriege an der Brust trugen. Er würde immer nur einer von vielen sein. Männer wie sich selbst hatte er zur Genüge kennen gelernt, Soldaten, die beständig in Bewegung waren, lachten, Joints rauchten oder Heroin nahmen,
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