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Ich Bin Gott

Titel: Ich Bin Gott
Autoren: Giorgio Faletti
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bezeichneten. Die Ausbildung begann und ging zu Ende. Man hatte ihnen alles beigebracht, was es zu lernen gab, viel zu schnell jedoch und ohne Überzeugung, denn Überzeugung war ein rares Gut in dieser Zeit. Jeder von ihnen würde sich alleine zurechtfinden müssen, würde vor allem unterscheiden lernen müssen, welches von diesen immer gleichen Gesichtern einem Vietcong und welches einem freundschaftlich gesinnten südvietnamesichen Bauern gehörte. Das Lächeln, mit dem sie sich näherten, war dasselbe, doch sie konnten völlig verschiedene Dinge bei sich haben. Nicht zuletzt eine Handgranate.
    Diese Erfahrung hatte zum Beispiel der Schwarze gemacht, der gerade mit kräftigen Armen die Räder seines Rollstuhls antrieb und auf ihn zukam. Unter den Kriegsheimkehrern, die hier im Krankenhaus auf ihre Wiederherstellung warteten, war er der Einzige, mit dem Wendell Freundschaft geschlossen hatte.
    Jeff B. Anderson aus Atlanta. Er war Opfer eines Attentats geworden, als er in Saigon aus einem Bordell gekommen war. Im Gegensatz zu seinen Kameraden hatte er überlebt, war jedoch von der Hüfte an abwärts gelähmt. Kein Ruhm, keine Medaille. Doch Ruhm war in Vietnam ohnehin eine Rarität, und die Medaillen waren meist das Metall nicht wert, aus dem sie gemacht waren.
    Jeff bremste seinen Rollstuhl ab, indem er die Hände auf die Räder legte.
    » Hallo, Corporal. Man erzählt sich seltsame Dinge über dich.«
    » An diesem Ort stimmt vieles von dem, was man sich erzählt.«
    » Also ist es wahr, dass du nach Hause gehst?«
    » Ja, ich gehe nach Hause.«
    Die nächste Frage kam erst nach dem Bruchteil einer Sekunde, nach einem kleinen, endlosen Zögern, denn bestimmt hatte Jeff sie sich schon viele Male selbst gestellt.
    » Wirst du klarkommen?«
    » Und du?«
    Keiner von beiden sagte etwas, sie überließen die Antwort lieber der Fantasie des anderen. In diesem Schweigen konzentrierten sich all ihre bisherigen Gespräche, alles, worüber man sprechen und was man verfluchen konnte.
    » Ich weiß nicht, ob ich dich beneiden soll.«
    » Das weiß ich selbst nicht, falls es dich interessiert.«
    Die Kiefermuskeln des Mannes im Rollstuhl spannten sich an.
    » Hätten sie doch nur diese verfluchten Staudämme bombardiert …«
    Jeff ließ den Satz unvollendet. Seine Worte riefen Gespenster wach, die beide vergebens zu vertreiben versucht hatten.
    Corporal Wendell Johnson schüttelte den Kopf.
    Was geschehen war, gehörte der Geschichte an. Und von dem, was nicht geschehen war, konnte man nicht wissen, wie es ausgegangen wäre. Trotz der massiven Bombardierungen Nordvietnams und obwohl die Zahl der bei den Luftangriffen eingesetzten Bomben bereits ein Drittel der im gesamten Zweiten Weltkrieg abgeworfenen Bomben erreicht hatte, war niemals der Befehl gegeben worden, die Staudämme des Roten Flusses zu bombardieren. Viele hätten sich davon den entscheidenden Schlag erhofft. Das Wasser hätte die Täler überflutet, und die Welt hätte das, was mit aller Wahrscheinlichkeit ein halber Genozid gewesen wäre, als Kriegsverbrechen bewertet. Doch vielleicht wäre der Krieg dann anders ausgegangen.
    Vielleicht.
    » Hunderttausende von Menschen wären gestorben, Jeff.«
    Der Mann im Rollstuhl sah auf. Etwas Undefinierbares lag in seinem Blick. Vielleicht war es die letzte Bitte um Erbarmen, weil er zwischen Bedauern und Reue hin- und hergerissen war. Dann drehte er den Kopf und starrte über die Baumwipfel hinweg ins Leere.
    » Manchmal bin ich so in Gedanken versunken, dass ich die Hände auf die Armlehnen stütze und aufstehen will. Dann fällt mir alles wieder ein, und ich verfluche mich selbst.«
    Er atmete tief durch, als bräuchte er viel Luft für das, was er nun sagen wollte.
    » Ich verfluche mich, weil ich so bin, und ich verfluche mich, weil ich das Leben von Millionen dieser Menschen opfern würde, nur um meine Beine wiederzubekommen.«
    Er sah Wendell in die Augen.
    » Was ist passiert, Wen? Und vor allem, warum ist es passiert?«
    » Ich weiß es nicht. Vermutlich wird es nie jemand wissen.«
    Jeff legte die Hände auf die Reifen und ließ den Rollstuhl vor- und zurückrollen, vielleicht um sich zu vergewissern, dass er noch lebte. Vielleicht war es auch nur einer dieser selbstvergessenen Momente, in denen er glaubte, er könne aufstehen und gehen. Er hing seinen Gedanken nach, und es dauerte eine Weile, bis sie sich zu Worten verfestigten.
    » Früher hieß es, die Kommunisten fressen kleine Kinder.«
    Den Blick auf
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