Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ich Bin Gott

Titel: Ich Bin Gott
Autoren: Giorgio Faletti
Vom Netzwerk:
nur um zu vergessen, dass sie wandelnde Zielscheiben waren. Der einzige Unterschied bestand darin, dass er noch am Leben war, auch wenn er sich eigentlich eher wie einer von denen fühlte, die unter den Kreuzen lagen. Er war noch am Leben, doch für diese geringfügige Differenz hatte er einen hohen Preis bezahlt. Er hatte in die groteske Leere der Monstrosität springen müssen.
    » Danke, Sir.«
    Wendell drehte sich um und ging zur Tür. Den Blick des Arztes spürte er im Nacken. Zum militärischen Gruß war er schon lange nicht mehr verpflichtet. Das wird nicht mehr verlangt von jemandem, dessen Körper und Geist Stück für Stück wieder zusammengeflickt wird, mit dem einzigen Ziel, dass er für den Rest seines Lebens die Erinnerungen bewahrt. Damit war die Mission erfüllt.
    Viel Glück, Wendell.
    Was in Wahrheit so viel hieß wie: Jetzt musst du die Scheiße alleine auslöffeln, Corporal.
    Wendell ging durch den hellgrünen Flur, der bis in Kopfhöhe mit Glanzlack und von da an bis zur Decke mit einer normalen matten Farbe gestrichen war. Durch die Oberlichter drang diffuses Licht, und er fühlte sich an jene vom Regen schraffierten Tage im Wald erinnert, wenn die Oberseite der Blätter derart glänzte, dass man sich darin spiegeln konnte, während ihre Kehrseite den Schatten barg. Einen Schatten, aus dem jederzeit ein Gewehrlauf hervorstoßen konnte.
    Er trat ins Freie.
    Draußen waren die Sonne, der blaue Himmel und die verschiedensten Bäume. Bäume, die man hinnehmen und vergessen konnte. Hier gab es weder Vietnamkiefern, noch Bambus, noch Mangroven, noch gewässerte Reisfelder.
    Hier war nicht Dat Nuoc.
    Das Wort hallte in seinem Kopf wider, kehlig, so wie es korrekt ausgesprochen wurde. In der Umgangssprache Vietnams bedeutete es so viel wie Heimatland, auch wenn die wörtliche Übersetzung Erde-Wasser lautete, ein sehr realistischer Ausdruck, der das Wesen dieses Landstrichs gut erfasste. Ein schönes Bild für jeden, der nicht mit gebeugtem Rücken arbeiten oder mit einem Rucksack auf dem Rücken und einer M16 in der Hand hindurchmarschieren musste.
    Die Vegetation, die ihn jetzt umgab, bedeutete Heimat. Auch wenn er im Augenblick nicht wusste, welchem Ort er diesen Namen geben sollte. Der Corporal lächelte, weil er seine Bitterkeit nicht anders ausdrücken konnte. Das Lächeln bereitete ihm mittlerweile keine Schmerzen mehr, und das Morphium und die Nadeln unter der Haut waren nur noch eine blasse Erinnerung. Der Schmerz nicht. Der blieb als gelber Fleck in seinem Gedächtnis und flammte jedes Mal auf, wenn er sich vor einem Spiegel auszog oder vergeblich versuchte, sich durch die Haare zu fahren, weil er an deren Stelle nur noch die knotige Oberfläche der Verbrennungsnarben spürte.
    Er ging den Weg entlang, hörte den Kies unter seinen Füßen knirschen und ließ Colonel Lensky mit allem, was er für ihn bedeutete, hinter sich. Als er den Asphaltstreifen der Hauptstraße erreichte, wandte er sich nach links und ging langsam auf eines der weißen Gebäude zu, die inmitten des Parks standen. Dort hatte er gewohnt.
    Dieser Ort war das Sinnbild für die geballte Ironie von Anfang und Ende.
    Die Geschichte endete dort, wo sie angefangen hatte. Wenige Dutzend Meilen von hier lag Fort Polk, das Camp, in dem sie vor ihrer Abreise nach Vietnam ausgebildet worden waren. Bei der Ankunft waren sie eine Gruppe von Jungen gewesen, die man gewaltsam aus ihrem Leben gerissen hatte, um sie in Soldaten zu verwandeln. Die meisten von ihnen waren noch nie aus ihrem Bundesstaat herausgekommen, manche nicht einmal aus dem County, in dem sie geboren waren.
    Frag dich nicht, was dein Land für dich tun kann …
    Niemand fragte sich das. Gleichzeitig war aber auch niemand bereit, sich dem zu stellen, was sein Land von ihm verlangte.
    Im südlichen Bereich des Forts war, detailgetreu bis ins Kleinste, ein typisches vietnamesisches Dorf nachgebaut worden. Strohdächer, Holz, Bambusrohr, Rattan. Merkwürdige Werkzeuge und Utensilien. Die Gesichter der Ausbilder trugen asiatische Züge, obwohl die Männer aufgrund ihrer Geburt amerikanischer waren als er. Nichts von den Materialien oder Gegenständen war ihm vertraut, und doch hatten diese Hütten – metaphysischer Ausdruck eines Tausende von Meilen entfernten Orts – etwas Bedrohliches und Alltägliches zugleich.
    Schau, so sieht das Haus von Charlie aus, hatte der Sergeant zu ihm gesagt.
    Charlie war der Spitzname, mit dem die amerikanischen Soldaten ihre Feinde
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher