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Ich bin ein Mörder

Ich bin ein Mörder

Titel: Ich bin ein Mörder
Autoren: Brigitte Pons
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sehen mich. Er sieht mich. Er wird kommen. Er wird böse auf mich sein. Ich habe alles ausgetrunken. Ich habe die Figur kaputt gemacht. Zwischen Toilette und Badewanne kauerte er sich auf den Boden. Die Arme fest um die Beine geschlungen, schaukelte er vor und zurück. Dann sah er sie. Sie schlüpften aus den Fugen. Er schaukelte schneller. Schloss die Augen, wimmerte leise. Er kannte sie von dem Bild im Schlafzimmer. Vor und zurück. Sie ließen sich nicht vertreiben. Vor, zurück. Immer schneller. Seine Stirn stieß hart gegen die Wanne. Vor, zurück. Die Skelette schwangen ihre Sicheln im Takt. Halt suchend krallte er die Fingernägel in die Unterarme. Geräusche an der Wohnungstür. Seine Lippen verzerrten sich in verzweifeltem Schluchzen.
    »Sie kommen!« Speichel tropfte aus seinen Mundwinkeln.
    Ihre Schritte schluckten sein Flüstern.
    »Geht weg, geht weg, geht weg.« Er wagte nicht, den Kopf zu heben, presste die Fäuste auf die Ohren, um die Stimmen nicht zu hören. Vor und zurück. Hände griffen nach ihm, schüttelten, zwangen ihn zu sehen. Seine Augen flatterten ruhelos, bis sein Gehirn die Wahrnehmungen verarbeitete. Die Skelette waren verschwunden.
    Plötzlich wusste er, dass der Mann, auf den er gewartet hatte, nicht wiederkommen würde. Nie wieder. In seinem hysterischen Lachen lagen Hoffnungslosigkeit und Erleichterung. Kein Geld mehr. Keine Totenfratzen mehr. Nie wieder. Die mit der Sichel hatten den Mann geholt. Widerstandslos folgte er den Polizisten ins Präsidium.

Dienstag, 13. November
     
    Die Sonne stand noch tief und tat sich schwer damit, die Wolken zu durchdringen. Eigentlich ein Glück, dass es keine klare Nacht gewesen war. Die Wolkendecke hielt eine geringe Restwärme am Boden fest. Seit Tagen sank die Frostgrenze kontinuierlich. Bis in die Niederungen musste wieder mit Schnee gerechnet werden und es grenzte an ein Wunder, dass der Boden noch nicht knüppelhart gefroren war. Schweres Gerät kam nicht zum Einsatz. Der ehemals ordentlich für den Winter vorbereitete Garten glich einer Szene aus einem Science-Fiction-Film. In weiße Overalls verpackte Gestalten bewegten sich in Ideallinie über das Gelände. Transportierten allerlei Werkzeuge und Hilfsmittel zwischen den draußen geparkten Wagen und einem tiefen Loch hin und her. Ein Hund bellte aufgeregt in der Nachbarschaft und Schaulustige sammelten sich seit geraumer Zeit vor dem Tor.
    Jens Müller stand neben seiner Schwester und beobachtete aus einiger Entfernung, wie Kollegen der Münchner und Frankfurter Kriminalpolizei zusammen mit den Gerichtsmedizinern die Überreste einer Leiche aus der Erde holten. Sie beide waren nicht im Dienst. Da Alexandra mit dem gebrochenen Arm nicht Auto fahren konnte, aber unbedingt dabei sein wollte, hatte er sich als Fahrer angeboten. Am späten Abend noch hatten sie sich auf den Weg gemacht und die Nacht bei einem gemeinsamen Freund in Ingolstadt verbracht. Von dort aus brauchten sie am Morgen nur noch eine Stunde bis nach Sauerlach. Alexandra zeigte sich ungewöhnlich schweigsam. Er kannte immer noch nicht alle Details der Geschichte, wusste nur, dass auf Alexandras Betreiben hin ein Amtshilfeersuchen eingeleitet worden war, dem man im Münchner Präsidium umgehend entsprochen hatte. Der Fall Stockmann schlug hohe Wellen. Länderübergreifend. Um nicht zu sagen, bundesweit. Daher wollte keine Dienststelle die Untersuchung der anderen alleine überlassen. Nachdem am späten Nachmittag des Vortages eine Streife mit Leichenspürhund ausgerückt und fündig geworden war, verständigte man sich darauf, gleich morgens mit der weiteren Untersuchung des Geländes und der Exhumierung zu beginnen.
    »Wie bist du dahintergekommen, dass hier eine Leiche liegt?«
    Es widerstrebte Alexandra, darüber zu reden. Jeder Gedanke daran schmerzte. Aber Jens hatte ein Recht auf eine Antwort.
    »Er beschreibt den Mord in seinem Buch.«
    »Darin beschreibt er viele Morde. Aber du behauptest doch, dass dieser der einzige ist, den er wirklich begangen hat. Wieso?«
    Sie zögerte. »Ob es der einzige ist, weiß ich nicht. Ist nur so ein Gefühl. Ich habe zuerst die Tatmuster verglichen. Schau mich nicht so an. Ich bin kein Profiler, klar. Das Seltsame dabei war ja auch, dass kein klares Muster zu finden ist. Mal ein Mann, mal eine Frau, unterschiedliches Alter, Ort, Methode, Zeitabstände. Nur eine Gemeinsamkeit fand ich: Blut. Es war fast immer extrem blutrünstig.«
    »Aber diesen Mann hier …«
    »… hat er –
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