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Ich bin ein Fundbüro - mein Alltag mit Kindern

Ich bin ein Fundbüro - mein Alltag mit Kindern

Titel: Ich bin ein Fundbüro - mein Alltag mit Kindern
Autoren: Anke Willers
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Leben lang für Vorsprung sorgen«. Was war los mit mir? Wollte ich einfach nur meine Ruhe haben in einem Leben, das unruhig genug war, weil Jochen und ich versuchten, zwei Jobs und zwei Kinder unter einen Hut zu bringen – und (ohne Ballettkurs in der frühen Kindheit) nicht genau wussten, wie man diesen Spagat hinkriegt?
    Ja, das war ein Grund. Ein anderer: Meine Kinder hatten überhaupt keine Lust, frühgefördert zu werden. Sie waren nämlich in der Kita und später in der Schule und im Hort. Und wenn sie nach Hause kamen – meistens gegen drei –, waren sie müde und wollten keine Termine mehr, in denen ihnen Erwachsene sagten, was Spaß machte. Rief ich um vier aus dem Fenster: »Packt zusammen, wir müssen zum Theater-Kurs«, stellten sie sich taub. Denn sie hatten gerade unten im Hof ein Eiscafé eröffnet, in dem es Eisbecher gab, die aussahen wie Sandförmchen, und Kellnerinnen, die aussahen wie Kinder, die sich ein Küchenhandtuch umgewickelt hatten. Und Speisekarten, die aussahen wie Pflastersteine, auf die jemand mit Kreide »Ziehtrone« und »Erdbär« gekritzelt hatte …

    Also hörte ich irgendwann auf, aus dem Fenster zu rufen. Und beschloss, dass Eiscafé-Eröffnungen auch der Kreativität und der Synapsenpflege dienten. Und dass Seilspring-Wettbewerbe im Hof gut sein konnten für die Hand-Auge-Koordination – auch wenn es dafür keine Abzeichen gab und keine Forschungen, die besagten, genau dies sei der Grundstein für eine erfolgreiche Karriere in der globalen Welt.
    Manchmal glaubte ich sogar, ein Schulterklopfen zu spüren: Es waren Geigen, Lernlieder und Turnmatten, die mich lobten: »Endlich mal eine, die sich nicht anstecken lässt vom Förderwahn«, sagten sie. »Endlich mal eine, die begreift, dass wir schwer leiden unter all den Kleinen, die uns zwei Monate toll finden und dann wieder fallen lassen – weil ihre Eltern ein noch tolleres Hobby entdeckt haben.«
    So verging die Zeit. Meine Kinder lernten im Sommerbad einigermaßen Schwimmen, in der großen Pause einigermaßen Einradfahren, im Schulchor einigermaßen Kanonsingen und von Tante Birgit so viel Skifahren, dass sie im bergigen Bayern nicht unangenehm auffielen. Aber so richtig ernstzunehmende Hobbys hatten sie nicht.
    Bis vor einem guten Jahr. Da kam Clara und sagte: »Ich will Klavier spielen.« »Oh«, sagte ich, »Klavier! Aber wir haben doch gar kein Klavier.« Damit war das Gespräch erst mal beendet. Zwei Wochen später kam unser Kind und sagte: »Mama, ich habe ein Klavier und eine Klavierlehrerin.« Die Adresse der Klavierlehrerin
hatte Clara von einer Freundin. Sie hatte bereits angerufen und erfahren: Es ginge immer donnerstags um fünf. Das Klavier war ein E-Piano und gehörte einer anderen Freundin, die es auf unbestimmte Zeit verleihen wollte, weil sie jetzt Saxofon spielte und im Keller kein Platz mehr war. Denn da lag schon das Schlagzeug von ihrem kleinen Bruder, der jetzt Judo machte, und die Reitausrüstung von ihrer großen Schwester, die 15 war und am liebsten gar nichts mehr machte – außer zu pubertieren.
    Wir transportierten das geliehene Piano in einem VW-Bus, mit dem der Vater der Saxofon spielenden Freundin jetzt an den Wochenenden seinen Sohn und ein paar andere Judokas zu den Wettkämpfen kutschiert. Nun frage ich Sie: Ist es normal, dass ein Kind, das niemals bei den Fastrackids »betriebliche Führungsfähgkeiten« erworben hat, fähig ist, so zu netzwerken und zu organisieren? Und wie kann es sein, dass ein Kind, das mit vier noch nicht an ein Instrument herangeführt wurde, mit neun plötzlich Lust verspürt, Klavier zu spielen? Möglicherweise ist dies die Folge meiner schlampigen Frühförderung. Aber wissen Sie was: Damit kann ich leben!
    Und was machen wir jetzt mit dem Hockey? Ich bin beinahe so weit, »Ja« zu sagen. Vor allem, seit Jette vor Kurzem aus dem Schullandheim kam. Dort hatte sie offenbar mal wieder sehr viel und sehr unkoordiniert Dampf abgelassen. Die Folge waren kaputte Knie, die sich entzündet hatten: »Staphylokokken«, diagnostizierte
der Arzt und deutete auf die vielen Schrunden: »Sind ja in keinem guten Zustand, diese Beine«, sagte er und runzelte die Stirn. Dann zeigte er auf Jettes Hals, der im grellen Licht der Arztlampe eindeutig nicht ganz sauber war: »Und wann warst du das letzte Mal in der Wanne …?« Gerne hätte ich in dieser Situation selbstbewusst gesagt: »Ach wissen Sie, ich habe sie gerade hinten vom ESC geholt. Sie spielt regelmäßig Hockey.
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