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Ich bin ein Fundbüro - mein Alltag mit Kindern

Ich bin ein Fundbüro - mein Alltag mit Kindern

Titel: Ich bin ein Fundbüro - mein Alltag mit Kindern
Autoren: Anke Willers
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Apotheke mit der Feiertagsöffnung nicht vorrätig gewesen. Genauso wenig wie der ominöse elektrische Läusekamm, von dem Google berichtete. Deshalb nahm ich das Gift und tat, als würde ich das Mundwinkel-Zucken des Apothekers
nicht sehen. Denn ich war nicht sicher, was es bedeutete: »Sie Arme!« oder: »Iih!« oder: »Uuh, Sie sind schon die Dritte!« Gegen Mittag hatte ich auch bereits den Beipackzettel des Vergiftungsmittels gelesen. Und beschlossen: Einmal im Leben darf man seinen Kindern mit Insektiziden den Kopf waschen.

Laus-anne, Tag eins, Nachmittag
    Den Nachmittag verbrachten wir zwischen auftauender Tiefkühlkost, Wäschebergen und hellblauen Mülltüten. Die wundersame Vermehrung von Brechbohnen, Himbeeren, Hühnchenschenkeln und Stängeleis in unserer Küche war eine Folge des erbarmungslosen Verdrängungswettbewerbs, der in unserem Tiefkühlfach stattgefunden hatte und den Jettes Lieblingskuscheltiere souverän für sich entschieden hatten. Denn bei minus 18 Grad würde selbst Herbert, der Kuschelgeier, binnen eines Tages lausfrei sein. In den Mülltüten befanden sich größere Kuscheltiere, die auf ihre Umsiedlung auf den Dachboden warteten. Und die Wäscheberge warteten darauf, in die Maschine gestopft zu werden. Insgesamt wusch ich sieben Maschinen bei 60 Grad.
    Im Internet las ich zwar später, dass dies eigentlich alles nicht nötig gewesen wäre, weil die gemeine Kopflaus spätestens nach 55 Stunden ohne Blutmahlzeit dahin ist. Rein psychologisch brauchte ich die Waschorgie trotzdem irgendwie.

Laus-anne, Tag eins, Abend
    Die restlichen Stunden dieses denkwürdigen Tages verbrachte ich mit Kämmen. Läuse kämmen, das weiß ich jetzt, ist noch wichtiger als Läuse umbringen. Denn wenn man nicht kämmt, erholt sich die Läusepopulation meistens ziemlich bald. Das Blöde ist allerdings: Wenn man vier Familienmitgliedern mit einem Nissenkamm Strähne für Strähne die Haare kämmen muss und das Ergebnis jedes Mal genau mit der Lupe begutachten will, dann dauert das ewig. An Tag eins dauerte es drei Stunden. Und meine Töchter drohten mir mehrfach, auszuziehen aus Laus-anne und nie mehr wiederzukommen. Das Kämmen ziepte nämlich, weil der Kamm aus Metall und außerdem engzinkig war. Die Ausbeute jedoch konnte sich sehen lassen: Neben circa 213 rausgerupften Haaren lieferte Jette doch tatsächlich vier ausgewachsene, 16 jugendliche und zwölf Läuse im Ei. Clara hatte sieben, Jochen hatte drei, und Anke hatte auch drei. Alle waren zu meiner Erleichterung lausetot.

Laus-anne, Tag zwei
    Am zweiten Tag suchte ich den örtlichen Kinderarzt auf. Dieser stellte mir eine Bescheinigung aus: Darin war zum großen Kummer meiner Kinder zu lesen, dass der Besuch von Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen
nach erfolgter Läusevergiftung bereits an Tag zwei wieder angezeigt ist. Der Arzt beschwor mich auch, nicht nachzulassen: »Sie wissen ja: nass machen und ordentlich auskämmen. An Tag 1, 3, 5, 9, 13, 17.« »Ja«, sagte ich matt, »kämmen« – und dachte: »Kahlrasieren ginge deutlich schneller.« An Tag zwei beschloss ich auch, ganz mutig zu sein. Ich würde es allen erzählen: »Ja, wir haben Läuse. Nein, die können nicht springen und Flügel haben sie auch nicht. Aber guckt trotzdem mal etwas genauer auf eure Köpfe. Ja, die sind winzig, und die Larven sehen aus, als hätte man mit Kuli einen Punkt gemacht. Nein, waschen nützt gar nichts – macht nur saubere Läuse …« Ich würde auch die spitzen Bemerkungen entfernter Tanten ignorieren, dass es ja sowas früher nur nach dem Krieg gegeben hätte bei den armen Flüchtlingen. Und höchstens dezent anmerken, dass man selbst in den Haaren ägyptischer Königsmumien Läuse gefunden hat. Und ich würde aufhören, darüber nachzudenken, warum die gemeine Kopflaus sich im dritten Jahrtausend so gern in den Gemeinschaftseinrichtungen rumtrieb, die meine Kinder besuchten.
    In Irland, so hatte ich gelesen, waren die Viecher schon resistent gegen das Gift. Da konnte man nur hoffen, dass es nicht irgendwann eine irische Laus auf einem rotgelockten Schopf nach München schaffte, um dort erst auf dem Oktoberfest Karussell zu fahren und dann in unserer Kita neue resistente Populationen zu gründen.

Laus-anne, Tag drei bis acht …
    … vergingen recht monoton. Ich kämmte vor mich hin und dachte darüber nach, ob das Wort »Kammerjäger« sprachhistorisch wohl von »kämmen« kam. Dazwischen aß ich aufgetaute Brechbohnen und matschige
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