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Ich bin ein Fundbüro - mein Alltag mit Kindern

Ich bin ein Fundbüro - mein Alltag mit Kindern

Titel: Ich bin ein Fundbüro - mein Alltag mit Kindern
Autoren: Anke Willers
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Himbeeren.

Laus-anne, Tag neun
    An Tag neun sollte unser Ausflug ein vorläufiges Ende nehmen. Bevor wir den Ort des Geschehens verließen, musste ich allerdings weitere Giftanschläge verüben. Dies sei unbedingt notwendig für den Fall, dass Nissen die erste Attacke überlebten und nun im Begriff waren, Kinder zu kriegen – hatte der Arzt gesagt. Ich meuchelte also ein weiteres Mal im Lager der Parasiten. Beim anschließenden Durchkämmen ihrer Behausungen war die Ausbeute jedoch mager: Zwei winzige schwarze Pünktchen lagen auf meinem weißen Geschirrtuch. Sie kamen von Jettes Kopf. Und sie lagen auch nach einer halben Stunde noch genau dort, wo ich mit Filzstift einen Kreis gezogen hatte. Ich beschloss: Bei den schwarzen Pünktchen handelte es sich um das, wonach es aussah: Dreck! Und ich beschloss auch: Ich würde jetzt aufhören mit meinem lausigen Job. Der Familienmensch hat schließlich noch andere Dinge zu tun, als stundenlang auf dem Fußboden
zu hocken, in der linken Hand eine Lupe, in der rechten einen Nissenkamm und vor sich einen Kinderkopf.

Drei Monate später
    Das alles ist nun schon wieder eine ganze Weile her. Vergessen haben die Kinder es trotzdem nicht. Neulich zum Beispiel, als wir über den Skiurlaub sprachen, sagte Jochen: »Und wenn wir schon in der Gegend sind, können wir ja mal nach Lausanne fahren. Soll schön sein da am Genfer See.« Doch dann blickte er in die erschreckten Gesichter unserer Töchter: »Laus-anne!!?? Da wohnen doch die Läuse!«, sagte Jette. »Nee«, sagte Jochen, »da wohnen jetzt die Schweizer. Die Läuse sind umgezogen. Nach Lausthal-Zellerfeld.«

Bekenntnisse einer Hobby-Psychologin
    Kleine Kinder machen heutzutage Frühförderung, große Kinder Hobby-Hopping. Ich frage mich: Brauchen Kinder eigentlich Erwachsene, die ihnen sagen, was Spaß macht?

    Erinnern Sie sich an die Geschichte mit dem stromfreien Sonntag? Die Nachbarn hatten uns zum Grillen eingeladen. Dabei erzählte mir eine Mutter, ihre Tochter mache Hockey. Und das sei toll: Super für die Hand-Augen- Koordination, teamorientiert, außerdem sei das Spiel schnell, und man könne ordentlich Dampf ablassen. Jette biss gerade in einen gegrillten Maiskolben und wurde hellhörig. Unsere Tochter lässt nämlich gerne Dampf ab. Und die Variante mit Hockeyschläger kennt sie noch nicht. »Wenn du willst«, sagte die Nachbarin, »nehm ich dich mal zum Schnuppern mit. Wir trainieren immer mittwochs und freitags, hinten beim ESC.« »Hinten beim ESC«, das klang gut – so als könnten die Kinder den Weg dahin langfristig allein gehen.
Aber es klang nur so, denn »hinten« hieß eigentlich im übernächsten Stadtteil, ohne U-Bahn-Anschluss, kurz: 15 Minuten mit dem Auto. Ich dachte nach: Hatte ich mir nicht vor gar nicht so langer Zeit geschworen, als Chauffeuse nicht mehr zur Verfügung zu stehen? Und war Jette nicht mittwochs bis vier in der Schule und ich im Büro? Und danach mit Moneypenny, unserem Leihhund, unterwegs? Und kamen bei Hockey am Wochenende nicht irgendwann Punktspiele, bei denen die Eltern filmend und Trinkflaschen haltend am Spielfeldrand stehen mussten und Trikot waschend den Abend beschließen? Und sollte ich das vielleicht lieber gar nicht erst anfangen …? Ich hatte laut gedacht. Zu laut. Denn ich hörte die eigentlich sehr nette Nachbarin pikiert sagen: »Was ist schon Gassigehen mit dem Hund gegen ein richtiges Hobby?«
    Ich erbleichte! Denn, ja, es stimmte: Weder Clara noch Jette waren in einem Verein. Sie machen kein Taekwondo, kein Synchronschwimmen, kein Ballett. Auch sind sie nicht imstande, den Inhalt von Jochens Werkzeugkoffer auf Mandarin zu benennen. Und das obwohl ihre Förderfenster seit Jahren sperrangelweit offen stehen. Und ihre Gehirne sich im Turbogang vernetzen. Betreten saß ich mit meinem Grillwürstchen in der Ecke.
    Hatte ich die Synapsenpflege meiner Töchter vernachlässigt? Tatsächlich habe ich schon in der Kleinkindzeit eine ausgeprägte Abneigung gegen Förderkurse entwickelt. Ich wollte nicht einsehen, dass schon Vierjährige eine durchgetaktete Woche brauchen, um
gut ins Leben zu kommen. Ich fand Kinderbeklatschen an Spielfeldrändern doof. Und als mir im Kindergarten eine bilinguale Mutter den Flyer mit Helen Dorons Early-English-Kursen in die Hand drückte, lag der zwar eine Weile zu Hause auf der Kommode – wanderte dann aber doch in die Tonne. Genauso wie das Infoschreiben der »Fastrackids«, in dem die Institutsbetreiber versprachen, sie würden »ein
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