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Ich bin die Nacht

Ich bin die Nacht

Titel: Ich bin die Nacht
Autoren: Ethan Coss
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indem er ihre Mutter erschoss?
    Eine Idee nahm Gestalt an, doch sie war aberwitzig.
    Oder doch nicht?
    »Was ist denn jetzt?«, drängte Ackerman. »Ich kann nicht ewig warten.«
    Jim blieb keine Wahl.
    Wieder hob er die Pistole. Emily hatte deutlich gemacht, was sie empfand. Ihr Mut und ihre Entschlossenheit schenkten ihm die Kraft, das zu tun, was getan werden musste.
    Er zielte.
    Und drückte ab.
***
    Jim schlug die Hände vor das Gesicht und schluchzte. Die Pistole fiel ihm aus der Hand und polterte auf die Bodenbretter.
    Ackerman bückte sich und zerschnitt das Seil um Jims Fußgelenke. »Gut gemacht. Gehen wir jetzt zu einem anderen Spiel über. Nennen wir es, ›Mach’s dir leicht oder mach’s dir schwer‹. Du darfst entscheiden, wie du sterben willst. Möglichkeit eins: ein Schuss aus der Schrotflinte in den Hinterkopf. Das ist schnell und schmerzlos, aber du wärst augenblicklich tot. Möglichkeit zwei ist, dass ich dich zur Hintertür fliehen lasse. Natürlich müsstest du dabei deine Tochter zurücklassen, aber das braucht dich nicht zu belasten. Wenn du bleibst, puste ich dir den Schädel weg, und deine Kleine ist trotzdem mit mir allein. Außerdem ist deine Tochter mir egal. Mit dir kann man viel schöner spielen.
    Ich gebe dir einen Vorsprung, und dann komme ich und suche dich. Ich benutze nicht die Schrotflinte, sondern das Messer. Dein Tod wird weder schnell noch leicht sein, sondern so schmerzhaft, wie du es dir in deinen schlimmsten Träumen nicht vorstellen kannst. Du wirst um Gnade winseln, Kumpel. Andererseits besteht die Möglichkeit, dass ich dich nicht finde, oder dass du mich besiegst. Das ist die Wahl, die du jetzt treffen musst. Gib auf und mach deinem Leid ein Ende, oder klammere dich an der Hoffnung auf Rettung fest und nimm dafür die Möglichkeit eines schrecklichen Todes in Kauf. Du hast dreißig Sekunden.«
    Mit einem letzten langen Blick auf sein kleines Mädchen stand Jim auf und eilte zur Hintertür. Er wollte sie nicht zurücklassen, aber er wollte auch nicht, dass sie zusah, wie er starb.
    Der Irre hatte recht. Ihm blieb keine andere Wahl.
    In seinem Kopf gab es nur einen Gedanken: Rache. Sein eigenes Leben war ihm egal, aber der Killer hatte ihm eine Chance gegeben, den Tod seiner Frau zu rächen, und diese Chance wollte er nutzen.
    Aber dann musste er weiterleben.
    Jim verließ sein Haus durch die Hintertür und rannte in die ausgebreiteten Arme des dunklen Waldes, so schnell er konnte.
***
    In der Küche des einstmals so friedlichen Hauses nahm Francis Ackerman junior den Telefonhörer ab und wählte. Beim fünften Klingeln nahm am anderen Ende jemand ab.
    »Hier Father Joseph. Wie kann ich Ihnen helfen?«
    »Vergeben Sie mir, Father, denn ich habe gesündigt.«
    Schweigen antwortete ihm.
    »Sind Sie noch dran, Father?«
    Der Mann am anderen Ende atmete langsam aus. »Ich bin hier, Francis.«
    »Ich habe heute Nacht drei Menschen getötet, Father, und gleich töte ich noch einen. Einen Mann von der State Police.«
    »Warum rufst du mich an? Ist das wieder eines deiner Spielchen?«
    »Nein. Ich brauche jemanden, mit dem ich reden kann. Und Sie sind der Einzige, den ich habe.« Ackerman kniff die Augen zusammen und kämpfte gegen die Tränen an. »Ich bin so müde, Father.«
    »In Gott dem Herrn kannst du Frieden finden, aber du musst es wollen.«
    »Ich glaube nicht an Ihren Gott. Ich will weder in Ihren Himmel noch in Ihre Hölle. Ich möchte nur noch schlafen. Ich möchte Dunkelheit … Vergessen. Ich möchte, dass es so ist, als hätte es mich nie gegeben.«
    »So geht es aber nicht. Eines Tages wirst du dich dem Urteil stellen müssen, egal ob du an Gott glaubst oder nicht. Aber noch ist es nicht zu spät, Francis. Stell dich. Ich kann dir helfen. Ich kann …«
    »Niemand kann mir helfen, Father. Für Ihre Erlösung ist es bei mir längst zu spät.«
    »Für niemanden ist es je zu spät.« Nach kurzem Zögern fügte Father Joseph hinzu: »Du kannst nicht deinen Vater für das verantwortlich machen, was aus dir geworden ist.«
    Ackerman rieb unwillkürlich über die Narben an seinen Händen und den Unterarmen, als er an seinen Vater dachte. In seinem Kopf hörte er noch immer seine Stimme, ein Flüstern im Dunkeln: Wir gehen spielen, Francis … Töte sie … Töte sie, und die Schmerzen hören auf …
    »Eines Tages musst du die Verantwortung übernehmen für das, was du tust«, sagte der Priester. »Dein Vater hat dich vielleicht auf diesen Weg gebracht, aber du selbst
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