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Ich bin die Nacht

Ich bin die Nacht

Titel: Ich bin die Nacht
Autoren: Ethan Coss
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Anstalten, seine Hände zu zeigen, die unter der Theke verborgen waren. Seine einzige Reaktion bestand in einem boshaften Grinsen, kalt, wie tot. Jim hatte das Gefühl, eine Fliege im Spinnennetz zu sein.
    Tom ging noch einen Schritt vor, die Waffe im Anschlag, und wiederholte, was er gesagt hatte. Wieder ohne Ergebnis. Er stand jetzt keine drei Schritte von der Theke entfernt. Jim hatte sich einen Schritt zurückgezogen. Er wollte Tom gerade zurufen, dass er dem Verdächtigen zu nahe sei, als der Mann hinter der Kasse mit ruhiger, ein wenig belustigter Stimme sagte: »Gefällt es euch? Das ist meine Version eines Mordes von Andrei Tschikatilo, dem Monster von Rostow. Schon mal von ihm gehört? Nein, eher nicht. Er war Ukrainer und hat über fünfzig Morde begangen. Nun ja, ihr beide habt von Washington und Lincoln gelernt, ich von Jack the Ripper, Albert Fish und Ed Gein, um einige meiner Gründerväter zu nennen.« Er kicherte, und sein Blick huschte zwischen den beiden Cops hin und her. »Ihr erkennt mich nicht, was?«
    »Nein. Und es ist mir scheißegal, wer Sie sind«, fuhr Tom ihn an, doch seine Stimme war ein wenig zittrig. »Hände über den Kopf!«
    Der Mann bedachte ihn mit einem herablassenden Blick. »Ein bisschen mehr Respekt solltest du mir schon erweisen, Kumpel. Ich bin nicht ganz unbekannt. Mein Name ist Ackerman.«
    Für einen Moment verschlug es Jim den Atem. Als er den Mann vorhin gesehen hatte, war er ihm irgendwie bekannt vorgekommen. Jetzt wusste er, wen er vor sich hatte. Er kannte diesen Mann aus dem Fernsehen, aus einer zweistündigen Sondersendung auf einem Nachrichtenkanal. Der Name der Sendung fiel ihm nicht ein, aber es ging in Richtung Ein Experiment mit dem Wahnsinn. Woran er sich allerdings gut erinnerte, war die Beschreibung Ackermans und seiner abscheulichen Verbrechen – die Taten eines Monstrums, wie es allenfalls in der Fantasie von Horrorschriftstellern existierte, nicht aber als Person aus Fleisch und Blut.
    Tom wiederholte seine Aufforderung. Diesmal sprach er leise, als wollte er den Mann zur Aufgabe bewegen und einen Kampf vermeiden. »Halten Sie die Hände so, dass ich sie sehen kann. Ich zähle bis drei, dann …«
    »An deiner Stelle würde ich nichts Übereiltes tun. Wenn du nicht vorsichtig bist, reißt es meiner hübschen kleinen Geisel vielleicht das hübsche kleine Gesicht weg.«
    »Geisel?«, fragte Tom verwirrt.
    Ackerman lenkte seinen Blick von Tom zu Jim. »Die Tussi unter der Theke. Sie hat die Mündung einer abgesägten Schrotflinte an der Schläfe. Ein Schuss, und die Kleine sieht gar nicht mehr gut aus. Ich hab so was schon mal gesehen. Schön ist es nicht. Ah, ich weiß genau, was ihr jetzt denkt. Ihr glaubt, ich bluffe.« Er wandte sich wieder Tom zu. »Und du denkst, dass du mir eine Kugel zwischen die Augen jagen kannst, ehe ich abdrücken kann. Wenn du dich da mal nicht irrst, Kumpel. Mein Finger liegt am Abzug. Sobald deine Kugel trifft, verkrampfen sich meine Muskeln, und dann spritzt das Hirn von der Süßen unter der Theke hervor. Tja, Leute, wie’s aussieht, haben wir hier eine klassische Pattsituation.«
    Ackerman lachte auf und fuhr in überheblichem Tonfall fort: »Ist das nicht komisch? Ihr habt diesen Tag begonnen wie jeden anderen. Ihr habt eine Tasse Kaffee getrunken, ein bisschen in der Zeitung gelesen und euren Lieben ein Küsschen zum Abschied gegeben. Aber ihr hattet keinen Schimmer, dass heute der wichtigste Tag eures Lebens sein wird. Ja, dies ist der Tag, an dem alles auf dem Spiel steht, was ihr je gesagt oder getan habt. Alles, woran ihr glaubt und wofür ihr eingetreten seid. Irgendwann geraten wir alle an einen Punkt, an dem wir uns entscheiden müssen, ob wir der Held sein wollen oder ein Schaf bleiben. Dieser Augenblick ist jetzt für euch gekommen, Freunde.
    Ich stelle euch vor die Wahl. Ihr könnt verschwinden und lebt weiter. Vielleicht habe ich eine Geisel unter der Theke, vielleicht aber auch nicht. Vielleicht bringe ich sie um, sobald ihr zur Tür raus seid, vielleicht aber auch nicht. Vielleicht könnt ihr mich fassen und werdet berühmt. Vielleicht müsst ihr bei dem Versuch dran glauben. Sicher wissen könnt ihr es nicht. Aber was können wir schon sicher wissen? Das ist ja das Schöne, oder? Hinter dem ganzen Scheiß steckt keine Bedeutung. Das Gute muss nicht unbedingt über das Böse triumphieren. Es gibt nur Zufall und Tod. Ihr seid die Pechvögel, die heute im Einsatz sind. Der blutige Klumpen, der da hinten am
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