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Ich bin die Nacht

Ich bin die Nacht

Titel: Ich bin die Nacht
Autoren: Ethan Coss
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Tankhäuschen, hallten von den Wänden und Glasscheiben wider. Die Echos überlagerten einander und klangen wie ein Chor der Verdammten.
    In diesem Moment verlor Jim die Kontrolle und handelte aus reinem Instinkt. Er ließ die Pistole fallen, riss sich die Uniformjacke herunter und schlug auf die Flammen ein in dem verzweifelten Versuch, seinen Freund zu retten. Doch nach ein paar Schlägen züngelten auch an der Jacke rote und gelbe Flämmchen. Hilflos ließ Jim sie neben seinem sterbenden Partner auf das Linoleum fallen.
    Nach einer Ewigkeit, wie es schien, verstummten Toms Schreie, und er hörte auf, um sich zu schlagen. Nur die Flammen blieben. Der Gestank nach verbranntem Fleisch hing in der Luft, während Jim in einen Strudel aus Entsetzen, Trauer und Wut gezogen wurde. Er kniete vor Tom, weinte um seinen Freund …
     … und wusste, dass er als Nächster an die Reihe kam. Denn mit einem Mal spürte er, dass der Mann mit der Schrotflinte hinter ihm im Gang stand. Ackerman hatte Toms schreckliches Ende als Ablenkung benutzt, und sein Plan war aufgegangen.
    Jims Stimme zitterte, und Tränen liefen ihm über die Wangen, als er über die Schulter fragte: »Warum haben Sie das getan? Sie haben uns gerufen, bloß damit Sie uns umbringen können? Warum?«
    »Warum?«, erwiderte Ackerman. »Das ist die ewige Frage, nicht wahr? Vom Anbeginn menschlicher Existenz haben wir wie besessen nach der Antwort auf eine einzige Frage gesucht: Warum? Nun, ich fürchte, dass ich keine richtige Antwort habe – außer der, dass ich nun mal so bin, wie ich bin. Es gibt Menschen, die großartige Kunstwerke schaffen. Andere sind Ärzte oder Anwälte, Lehrer oder Handwerker. Ich bin ein Raubtier, ein Mörder. Das Leben ist ein Spiel, und ich spiele gern. Aber mein Spiel mit dir, Kumpel, ist noch nicht zu Ende. Gib mir deine Brieftasche.«
    »Meine Brieftasche?«
    Ein Tritt gegen den Hinterkopf beantwortete Jims Frage.
    »Deine Brieftasche. Sofort. Bitte.«
    Jim reichte sie ihm. Der Killer ging den Inhalt durch und verweilte beim Führerschein und bei einem abgegriffenen Foto. »Du hast ’ne nette Familie, Jim Morgan. Ich würde sie gerne näher kennenlernen.«
    »Sie verdammter Mistkerl!«, brüllte Jim und stürzte sich auf den Mörder seines besten Freundes.
    Ackerman schlug ihn mit der Schrotflinte zu Boden. Dann prügelte er auf ihn ein, bis Jim das Blut übers Gesicht lief. Jim spürte, wie bei jedem Hieb die Haut aufriss, konnte sich aber nicht schützen.
    Endlich hörten die Schläge auf. Ackerman zielte wieder mit der Schrotflinte auf ihn. »Eigentlich wollte ich noch ein bisschen mit dir spielen, ehe ich dich zur Hölle schicke, aber ich glaube, ich habe eine bessere Idee.«
    Er ging hinter die Theke und holte eine Flasche und ein Tuch hervor, ohne den Blick von seinem Opfer zu nehmen.
    Jim wand sich in Schmerzen am Boden und beobachtete, wie Ackerman aus der Flasche etwas auf den Lappen goss. Seine Augen füllten sich mit Tränen, und seine Sicht verschwamm. Er schmeckte Blut und roch den beißenden Qualm von Toms verbrannter Leiche. Sein Gehirn konnte den Ansturm der Informationen nicht verarbeiten, den seine Sinne wie im Fieberrausch lieferten, und sein Verstand drohte zu ersticken.
    Ackerman kniete sich hin und drückte ihm das Tuch auf den Mund. Jim versuchte sich zu wehren, jedoch vergebens. Nach nur einem Augenblick wirkte das Betäubungsmittel, und Dunkelheit umfing ihn.
***
    Jim erwachte. Aus brennenden Augen betrachtete er seine Umgebung. Allmählich schwand seine Benommenheit.
    Er konnte es nicht fassen.
    Er war zu Hause, im Wohnzimmer.
    Im ersten Moment glaubte er mit einem Anflug unendlicher Erleichterung, das Martyrium in der Tankstelle sei nur ein Albtraum gewesen.
    Doch als er seine Frau und seine Tochter sah, verflüchtigte sich jede Hoffnung wie warmer Atem an einem Wintertag.
    Emily und Ashley saßen am anderen Ende des Wohnzimmers auf zwei Esszimmerstühlen und schauten ihn aus schreckgeweiteten Augen an. Die Stühle standen wie bei einem Gesprächskreis nebeneinander. Beide waren gefesselt, ihre Münder mit Klebeband geschlossen. Ihr zerzaustes Haar war verfilzt und klebte auf Stirn und Wangen, die nass waren von Tränen und Schweiß.
    »Ashley …« Jim wollte zu ihr, doch er war selbst gefesselt, wie er erst jetzt bemerkte. Verzweifelt bäumte er sich in den Stricken auf.
    Er schaute seine Frau an. Das rabenschwarze Haar hing ihr ins Gesicht. Angst verzerrte ihre Züge. Ihr heller Teint, ein Erbe aus
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