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Ich bin die Nacht

Ich bin die Nacht

Titel: Ich bin die Nacht
Autoren: Ethan Coss
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hatte wirklich Glück gehabt, wie immer in solchen Situationen. Aus gewalttätigen Auseinandersetzungen schien er jedes Mal als Sieger hervorzugehen. Wann wurde Glück zu Können? Wann wurde aus Können ein Talent?
    Aber er besaß unbestreitbar die Gabe, anderen sehr wehzutun, und das beunruhigte ihn. Es wäre ihm lieber gewesen, wenn er tatsächlich immer nur Glück hätte.
    Aber tief im Innern wusste er es besser.
    Er wusste, wozu er fähig war.
    Mit flackerndem Blaulicht bog ein Steifenwagen um die Ecke und hielt vor ihnen. Ein Mann mittleren Alters mit silbrigem Haar und Spitzbart stieg aus. Maggie erzählte ihm, was vorgefallen war. Offenbar war der Mann ihr Vater, der Sheriff.
    Am Ende der Gasse hatte sich eine Menge gebildet, die aus Gästen der Kneipe bestand. Die rockige Musik einer Coverband dröhnte über die Straße, während weitere Leute ins Freie strömten, um sich anzusehen, was los war.
    Nur, dass es schon vorbei war. Viele Schaulustige wirkten enttäuscht, dass sie den Kampf versäumt hatten, und zogen murrend wieder ab.
    Nachdem er sich Maggies Geschichte angehört hatte, ging der Sheriff zu Glenn und klaubte ihn vom Pflaster auf, während einer seiner Deputys sich um die Freunde des Cowboys kümmerte.
    »Hast du irgendwas zu sagen, Junge?«, fragte der Sheriff.
    Noch immer benommen, begann Glenn: »Ich … ich hab nichts getan, Sheriff, wirklich nicht. Ehrenwort. Wir wollten den Neuen bloß in der Stadt willkommen heißen. Zum Dank macht der Typ mich an! Als ich den Penner beruhigen will, schlägt er um sich wie ’n Bekloppter.«
    Der Sheriff nickte. »Verstehe. Weiß du, Glenn, ich war immer schon der Meinung, dass du das städtische Begrüßungskomitee leiten solltest. Wie ich sehe, haben du und deine Jungs sogar Willkommensgeschenke mitgebracht. Einen Baseballschläger, ein Brecheisen … wie nett.« Der Sheriff grinste. »Stil habt ihr, das muss ich euch lassen.« Er schubste Glenn zu seinem Deputy. »Schaff diesen Müllhaufen hier weg.«
    Der Sheriff sprach ein paar Worte mit Maggie, dann wandte er sich Marcus zu. »Tut mir leid wegen Glenn. Der ist so helle wie ein Brikett. Wie auch immer … ich bin zwar nicht dafür, aber Maggie hat mich überredet, Ihnen zu erlauben, sie nach Hause zu bringen. Das heißt aber nicht, dass Sie schon vom Haken sind. Kommen Sie morgen Nachmittag aufs Revier und machen Sie Ihre Aussage. Dann können wir uns zusammensetzen und hübsch plaudern.«
    Marcus gefiel nicht, wie der Sheriff »hübsch plaudern« aussprach. Das Gespräch würde sich vermutlich um Maggie drehen – und die gewaltsame Entfernung diverser Körperteile, sollte er dem Mädchen gegenüber nicht den nötigen Respekt an den Tag legen.
    »Ich werde da sein, Sir«, sagte Marcus.
    »Das möchte ich Ihnen auch raten.«
    Maggie drückte ihren Vater noch einmal verlegen, dann ging sie mit Marcus davon. Nach kurzem Schweigen ergriff sie wieder das Wort. »Warum bist du eigentlich kein Cop mehr?«
    Eine dunkle Gasse, ein Schrei, Blut, Tränen …
    Die Erinnerungen wirbelten Marcus durch den Kopf wie ein Tornado, der ein Haus zwar stehen lässt, aber unbewohnbar macht.
    Aber woher sollte das Mädchen wissen, dass ihre Frage eine schmerzhafte Erinnerung auslöste? Sie versuchte nur, ihn besser kennenzulernen. Vielleicht, weil sie ihn mochte. Und wenn er jetzt eine Stunde brauchte, um eine so einfache Frage zu beantworten, hielt sie ihn wahrscheinlich für einen ausgebrannten Psycho.
    »Na ja …«, begann er. Was sage ich ihr bloß? » Ich glaube, diese Frage sollten wir bis zu unserem zweiten oder dritten Date aufschieben.«
    »Woher willst du wissen, dass es überhaupt ein zweites oder drittes Date geben wird?«, fragte Maggie.
    »Weil du auf meine Geheimnisse neugierig bist.«
    Sie lächelte. Als Marcus ihr in die Augen schaute, verschwanden seine düsteren Erinnerungen aus seinem Bewusstsein und glitten wieder in den Hintergrund. Vorerst hatte der Schmerz sich gelegt. Im Augenblick schliefen seine Dämonen.
    »Danke, dass du mich begleitest«, sagte Maggie. »Du bist wirklich ein netter Kerl.«
    Marcus verzog das Gesicht. »Der Kuss des Todes.«
    Sie sah ihn verwirrt an.
    »Nette Kerle werden nachts angerufen und um Rat gebeten, wie man mit festen Freunden umgeht, die sich als Dreckskerle erweisen. Nette Kerle fahren dich zum Flughafen und helfen dir beim Umzug. Sie kommen immer als Letzte. Und ich … bin nicht ganz so nett.«
    »Das sehe ich anders. Ich glaube, du bist ein sehr netter Kerl, und
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